In vielen Organisationen gilt kollegiale Führung (KoFü) als zeitgemäße Alternative zur klassischen Hierarchie. Sie verspricht mehr Eigenverantwortung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Doch wie gut passt dieses Modell in eine Arbeitswelt, die angesichts wirtschaftlichen Drucks wieder nach strafferer Führung ruft? Wie lässt sich das Modell weiterentwickeln und an die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen?

Was ist kollegiale Führung?
Status quo – Wo steht kollegiale Führung heute?
Das Konzept der kollegialen Führung, wie es von Bernd Oestereich und Claudia Schröder beschrieben wurde, hat in den letzten Jahren zwar viel Aufmerksamkeit erregt, jedoch (noch) keine breite Akzeptanz in der Praxis gefunden. Zwar gibt es einige Leuchtturmprojekte, die zeigen, dass selbstorganisierte Strukturen funktionieren können. In solchen Fällen wurden klassische Hierarchien abgebaut und Entscheidungsbefugnisse in die Teams verlagert. Doch bislang sind solche Vorreiter eher die Ausnahme als die Regel. In der Realität zeigt sich stattdessen häufig ein anderes Bild: Viele Unternehmen experimentieren mit agilen Methoden oder einzelnen Elementen der Selbstorganisation, scheuen jedoch die tiefgreifenden Veränderungen, die eine vollständige kollegiale Führungsstruktur mit sich bringen würde.

Kollegiale Führung: Herausforderungen und Chancen
Kollegiale Führung 2.0 – Wie kann das Modell der Selbstorganisation weiterentwickelt werden?
Trotz bestehender Herausforderungen lässt sich festhalten: Kollegiale Führung und Selbstorganisation bleiben zentrale Modelle zukunftsorientierter Arbeitsgestaltung. Sie bieten Organisationen vielfältige Chancen, um den dynamischen Anforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt wirksam zu begegnen.
Doch wie lässt sich nun kollegiale Führung weiterentwickeln? Hierfür gibt es unterschiedliche Wege – je nach Ausgangslage und Kultur der Organisation.
1. Mindset vor Methodik: Haltung als Basis für Selbstorganisation
Bevor Prozesse und Strukturen umgestellt werden, muss der Sinn und Mehrwert kollegialer Führung für alle Mitarbeitenden und Führungskräfte klar sein. Denn kollegiale Führung ist kein Selbstzweck. Es gilt, psychologische Bereitschaft zu schaffen: Offenheit für Neues, Mut zum Loslassen, Vertrauen in Kolleg*innen und Systeme. Dies erreicht man zum Beispiel durch
- frühzeitige Kommunikation
- Workshops zur gemeinsamen Klärung von Erwartungen und Wertvorstellungen sowie
- Coaching für Führungskräfte, die in neue Rollen finden (müssen/dürfen/wollen).
Erst wenn die Beteiligten innerlich mitgehen, können die methodischen Instrumente kollegialer Führung ihre volle Wirkung entfalten.
2. Kulturelle Passung und Reifegrad der Organisation beachten
Kollegiale Führung muss zur Organisationskultur und zum Reifegrad passen. Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte, Branche und Strategie. Kollegiale Führung mit ihrem Anspruch auf Selbstorganisation und Gleichwertigkeit lässt sich insbesondere in Organisationen wirksam umsetzen, deren Kultur bereits durch ein hohes Maß an Partizipation, Reflexionsfähigkeit und gemeinsamer Verantwortung geprägt ist. In solchen Kontexten ist der Boden bereitet – für Vertrauen, dezentrale Entscheidungsstrukturen und ein lernorientiertes, experimentelles Vorgehen.
Doch auch für Unternehmen in anderen Reifegraden kann dieses Modell implementierbar sein. Hier kann zunächst mehr Struktur und ein klarer Rahmen hilfreich sein. In der Praxis hat sich gezeigt, dass Transformationsprozesse langsamer verlaufen, als wir es bei der Einführung oft erwarten. Insofern kann eine Möglichkeit sein, kollegiale Führung weiterzuentwickeln, das Modell noch iterativer und strukturierter „vorzugeben“.
3. Mit klaren Prinzipien und Struktur: Kollegiale Führung erfolgreich in Organisationen einführen
In der Praxis lassen sich verschiedene methodische Ansätze nutzen, um kollegiale Führung in Organisationen wirksam einzuführen. Ein strukturierter, teambasierter Transformationsprozess kann dabei hilfreich sein, um Selbstorganisation und Rollenbewusstsein im Team zu stärken. Elemente wie moderierte Reflexionsformate (Retrospektiven, Check-ins oder Teamcanvas-Workshops), Rollenklärung (Rollenkarten, Responsibility-Boardsoder Rollenpoker) und kontinuierliche Anpassung der Zusammenarbeit (regelmäßige Rollenreviews, Team-Standups oder Feedback-Loops) schaffen einen klaren Rahmen, in dem Teams ihre eigene Führungsstruktur entwickeln können.
Hilfreich ist ein differenziertes Verständnis von Führung, das Rollen wie z. B. Begleitung, Moderation oder inhaltliche Verantwortung im Transformationsprozess differenziert. So kann Führung im Team erprobt und Schritt für Schritt neu verteilt werden. Die Verantwortung wird dabei gemeinsam getragen – jedes Team entscheidet selbst, wie es diesen Rahmen mit Leben füllt.
In kollegial geführten Organisationen entstehen Rollen wie Gastgeber*in, Lernbegleiter*in oder Ökonom*in oft organisch – aus den jeweiligen Kontexten, Bedürfnissen und Fähigkeiten der Beteiligten heraus. Diese Rollen sind nicht statisch, sondern entwickeln sich weiter und bleiben anschlussfähig an die Realität der Teams.
Da kollegiale Führung in vielen Organisationen noch Neuland ist, kann es sinnvoll sein, interne sowie externe, systemisch oder agil arbeitende Organisationsentwickler*innen in den Prozess einzubeziehen, um die Teams methodisch zu begleiten und den Wandel nachhaltig zu verankern.

Methodische Ansätze zur Einführung kollegialer Führung
Fazit
Kollegiale Führung fordert uns heraus, Führung neu zu denken – hin zu mehr Beteiligung, geteilter Verantwortung und ganzheitlicher Entwicklung. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten kann Selbstorganisation zur Stärke werden – wenn sie bewusst gestaltet wird.
Ob sie erfolgreich umgesetzt wird, hängt von vielen Faktoren ab: vom Reifegrad der Organisation, vom Willen zu echter Veränderung und von der Fähigkeit, Wandel ganzheitlich zu gestalten. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann kollegiale Führung einen wertvollen Rahmen bieten, um Organisationen kundenorientierter, innovativer und menschlicher zu machen.
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Quellen
Fraunhofer IAO & Bertelsmann Stiftung (2019): Erfolgskriterien betrieblicher Digitalisierung Handlungshilfe für Unternehmen.
Fraunhofer IAO & DGFP (2021): Hybrid und selbstorganisiert – Die Arbeitswelt von morgen.
Frankfurt School of Finance & Management (2023): Erfolgstreiber der digitalen Transformation – Status Quo in deutschen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen.
Graf, N. (2020): Selbstorganisation als elementare Kompetenz. Haufe Online.
IAP Institut für Angewandte Psychologie, ZHAW (2020): Selbstführung in selbstorganisierten Arbeitskontexten – Trendstudie.
imu augsburg GmbH & Co.KG (2023): Integrale Landkarte Nachhaltigkeit & regeneratives Wirtschaften.
Niehues, J. & Stockhausen, M. (2024):
IW-Verteilungsreport 2024 – Aktuelle Trends und Herausforderungen für die Verteilungspolitik. IW-Report Nr. 49.
Oestereich, B. & Schröder, C. (2017):
Das kollegial geführte Unternehmen – Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen. München: Vahlen Verlag.
Oestereich, B. & Schröder, C. (2023): Essenzen agiler Organisationsentwicklung. München: Vahlen Verlag.
The Dive (2019): The Loop Approach – Wie Organisationen sich selbst transformieren können. Frankfurt: Campus Verlag.
Bazanegue, Fabien (2018): https://unsplash.com/de/fotos/kurven-strassenbeschilderung-rTpsIAfXxDI
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