Eine der größten Herausforderungen für Unternehmen besteht in der Auswahl und Förderung von Talenten. Insbesondere bei potenziellen Führungskräften wird es aus unterschiedlichen Gründen zunehmend schwieriger, die Spreu vom Weizen zu trennen. Stand in den ersten Jahrtausenden der Talentsuche noch sprichwörtlich die Suche nach dem/der „Fittesten“ (physische Eigenschaften wie Größe, Kraft etc.) im Vordergrund, wurden in der Mitte des 20. Jahrhunderts Intelligenz und Erfahrung zu den maßgeblichen Kriterien bei Auswahlverfahren. Seit den 90er Jahren (in Deutschland) begann die dritte Periode, die heute noch immer in den meisten Unternehmen vertreten ist: Die Auswahl nach Kompetenzen. Die vorherrschende Idee dabei ist, kompetenzbasierte Soll-Pofile mit den aktuellen Kompetenzen (Ist-Profil) potenzieller Kandidaten zu vergleichen. Das Problem: Die Jobanforderungen ändern sich immer schneller, die Umwelt ist immer weniger vorhersehbar und Arbeitsbedingungen werden zunehmend komplexer. Deshalb brauchen Organisationen verstärkt Personen, die mit diesen Bedingungen schnell und erfolgreich umgehen können. Die entscheidende Frage lautet dann nicht mehr, wer verfügt über welche Kompetenzen, sondern, wer hat das Potenzial, die zukünftigen Herausforderungen unter sich ständig verändernden Rahmenbedingungen erfolgreich zu bewältigen?
Abbildung 1: Potenzialmanagment
Doch wie kann man Potenzial erkennen und wie unterscheidet es sich von Talent?
Talent ist unseres Erachtens eine angeborenes „Set“ an Fähigkeiten, das es ermöglicht, relativ leicht und schnell Gelerntes umzusetzen. Diese Situation kennt jede/r von uns. Nehmen wir an, Sie spielen Fußball und Ihr Trainer zeigt Ihnen eine neue Schusstechnik. Es fällt Ihnen leicht, diese umzusetzen und Sie integrieren diese rasch in ihr Spiel. Das wäre Talent. Leider wollen Sie nicht Fußballspielen, sondern lieber Golf. Dann hätten Sie zwar weiterhin Talent für Fußball, aber leider kein Potenzial, da Sie Fußball ja nicht spielen wollen. Nehmen wir weiterhin an, Sie sind als Rechtsfüßler zum Stürmer ausgebildet worden und haben auch in diesem Bereich Ihre größten Talente. Ihr Verein braucht aber keine Stürmer mit einem starken rechten Fuß, da sie hier schon gut besetzt sind. Das Talent bleibt, aber innerhalb dieses Vereins hätten Sie nach unserer Definition kein Potenzial. Führen wir diesen Aspekt noch etwas weiter aus, indem wir annehmen, Ihr Verein bevorzugte bisher eine Defensivstrategie, möchte diese jedoch auf eine eher offensiv ausgerichtete Strategie ändern. Wie gut und wie schnell sind Sie jetzt in der Lage, sich die erforderlichen Fähigkeiten anzueignen? Wir konstatieren: Potenzial bedeutet Talent x Motivation x Lernfähigkeit.
Doch wie können Sie Potenzial für das Potenzialmanagement messen?
In sog. Lernpotenzial-Centern werden Teilnehmer mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert, die sie lösen müssen. Danach erhalten sie Feedback von den Beobachtern. In den folgenden Übungen können sie dann zeigen, wie schnell sie in der Lage sind, ihr Verhalten zu adaptieren. Ein in solchen Simulationen gezeigtes hohes Maß an Lernfähigkeit stellt einen recht zuverlässigen Prädiktor dar, dass auch in Realsituationen schnell passendes Verhalten gezeigt werden kann. Die zweite Variable ist Motivation und Engagement, eine Aufgabe anzunehmen und Ziele hartnäckig und langfristig zu verfolgen. Wirkliche Motivation lässt sich nur schwer durch Tests erfassen, da Motive oft unbewusst sind. Dennoch gibt es Verfahren, bspw. durch gezielte Interviews, zugrundeliegende Motive zu ermitteln. Auch bewusste Motive („Was bringt mich morgens aus dem Bett?“) können durch validierte Tests erfasst werden. Talent als dritte Variable wiederum basiert großteils auf Fähigkeiten / Fertigkeiten, die sich mit Methoden der Kompetenzdiagnostik gut messen lassen. Am vielversprechendsten erscheint eine Kombination aus diversen Verfahren, um die am besten geeignetsten Kandidaten zu finden.
Die Suche nach Potenzial macht also mehr Sinn als die Suche nach Talent. Wir plädieren deshalb für die Einführung eines neuen Begriffes: Potenzialmanagement.