Wieviel Transparenz ist angemessen?
Wissen ist Macht – und Wissen teilen macht mächtiger
„Wissen ist Macht“ stellte schon Francis Bacon im 16. Jahrhundert fest. Und dieses geflügelte Wort gilt seit jeher im wirtschaftlichen Kontext. Sowohl im 20. Jahrhundert als Unternehmen sich durch das Wissen um schnellere Produktionsmethoden (Ford) oder geheime Rezepte (Coca-Cola) gegen ihre Konkurrenz durchsetzen konnten; als auch im 21. Jahrhundert, in einer globalisierten, digitalisierten und volatilen Welt.
Wissen war und ist eine immaterielle Ressource, die, wenn richtig genutzt, eine Grundlage für einen Wettbewerbsvorteil bilden kann – das wissen wir spätestens seit „resource-based-view“ in den 90er Jahren Einzug in die Managementlehre gehalten hat.
Wie Wissen als Ressource genutzt und zur Kernkompetenz weiterentwickelt werden kann, um daraus einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen – ist nicht Teil dieser Notiz – hier widmen wir uns dem Thema „Transparenz“. Wir empfehlen an dieser Stelle aber gerne, sich näher mit dem Konzept der VRIO-Analyse (Value, Rareness, Imitability, Organization) auseinanderzusetzen, mit welcher sich feststellen lässt, welches Wissen in Ihrem Unternehmen zu einer Kernkompetenz entwickelt werden kann.
Doch zurück zum eigentlichen Thema der Transparenz. Was sich in den letzten Jahren radikal geändert hat, ist der Umgang mit Wissen. Galt früher „Wissen ist Macht – also muss ich es für mich behalten, um mächtig zu bleiben“ gilt heute zunehmend „Wissen ist Macht – und Wissen zu teilen macht mächtiger“.
Die Art und Weise, WIE Unternehmen mit Wissen umgehen, hat sich verändert. Viele Unternehmen haben erkannt, dass eine VUCA-Welt andere Anforderungen an sie und ihre Mitarbeiter*innen stellt als ein kompliziertes, aber kontrollierbares Marktumfeld, wie wir es bis vor ca. 25 Jahren häufig noch vorfanden.
Also – Teile (dein Wissen) und herrsche?
Ganz so einfach ist es nicht. Wie und unter welchen Umständen Transparenz in Unternehmen sinnvoll und wertstiftend ist, und in welchem Kontext Verschwiegenheit und Geheimhaltung ihre Daseinsberechtigung haben, wollen wir im Folgenden analyiseren.
Warum ist es wichtig, Transparenz in der Unternehmenskultur zu verankern?
Die Organisationstheorien der letzten Dekade, sei es nun die evolutionäre, die gesunde, die agile, die responsive, die Pfirsich- oder die „teal“ Organisation, zeigen alle auf, dass eine Antwort auf volatile Märkte lautet: Kundenzentrierung – und damit auch Stärkung der kunden- und marktnahen Mitarbeiter.
Einfach heruntergebrochen: Wer sich schnell an verändernde Kunden- und Marktanforderungen anpassen will, muss sicherstellen, dass die Mitarbeiter*innen „an der Front“ auch die richtigen Entscheidungen treffen und schnell handeln können. Dabei werden sie unterstützt, indem sie ermächtigt werden. Zum Beispiel durch Wissen.
Kommt ein Kunde in mein Geschäft und ich als Kundenberaterin kann sofort in einem CRM-Programm prüfen, ob und wann und zu welchem Zweck dieser Kunde schon mal in meinem oder einem anderen Geschäft meines Unternehmens war – kann ich ihn zielgerichtet beraten.
Stricken wir das Beispiel weiter: Wenn der Kunde den Laden später wieder verlässt, teile ich als Beraterin wiederum Informationen über den Kundenbesuch via CRM mit meinen relevanten internen Stakeholdern.
In diesem Fall mit anderen Kundenberater*innen, mit dem Zentralvertrieb und der Strategieabteilung – die basierend auf dieser und hunderten bis tausenden weiteren Kundenbesuchsinformationen eine Vorgehensweise entwickeln, wie Kunden in Zukunft noch besser beraten werden können – oder um es weniger romantisch auszudrücken: Wie sie als Unternehmen mehr Kunden häufiger in unsere Geschäfte bringen, um ihnen mehr oder teurere Dienstleistungen oder Produkte zu verkaufen.
Wir lernen aus dem Beispiel: Wissen zu teilen ist keine Einbahnstraße. Transparenz bedeutet nicht nur, top-down Wissen zu teilen, sondern eben auch bottom-up. Wissen muss fließen, es muss an den richtigen Stellen vernetzt werden, um Unternehmen Mehrwert zu bringen. Und: die richtige Technologie hilft dabei, Wissen zielgerichtet zu verbreiten.
Aus den Organisationstheorien der letzten Jahre lernen wir aber noch mehr. Unter anderem, dass Unternehmen sich stärker darauf konzentrieren müssen, ihren Mitarbeitern einen Zweck anzubieten, sie gerecht zu behandeln und sie zu Fragen und zu guten Fehlern zu ermutigen.
Diese Faktoren leiden, wenn Unternehmen sich zu sehr der Verschwiegenheit und Geheimhaltung verschreiben. Wenn ich als Unternehmer*in möchte, dass meine Kollegen*innen „Warum“-Fragen stellen und unternehmerisch denken, muss ich zeigen, dass ebendies gewünscht ist und Antworten bieten können.
Wenn ich möchte, dass sie im Sinne des Unternehmens handeln, muss ich den „Sinn des Unternehmens“ auch entdecken und erfahren lassen können.
Wenn ich möchte, dass sie als mündige Erwachsene im Unternehmen handeln und entscheiden, muss ich ihnen auch die Möglichkeit geben, Informationen zu sehen, zu verbinden und zu nutzen, um gemeinsam am Erfolg des Unternehmens mitwirken zu können.
Wenn ich möchte, dass sie wachsen wollen, sollte ich Informationen und Wissen als Dünger verstehen.
Die folgende Grafik veranschaulicht, wie sich Transparenz im Unternehmen auswirken kann. Natürlich stellen die dargestellten Faktoren nur einen Auszug dar und stehen in Wahrheit in einem komplexen Zusammenhang.
Interne und externe Transparenz: Tesla und allsafe Jungfalk machen’s vor
Sinnvollerweise differenzieren wir zwischen interner und externer Transparenz.
Interne Transparenz bedeutet: Innerhalb eines Unternehmens herrscht die Bereitschaft, Wissen und Informationen zu teilen.
Externe Transparenz bedeutet: Ein Unternehmen geht offen mit „eigenem“ Wissen um und teilt dieses proaktiv mit Partnern, Dienstleistern, aber auch Mitbewerbern oder sogar der breiten Öffentlichkeit.
Ein Beispiel für eine hohe, externe Transparenz stellt die Ankündigung Elon Musks aus dem Jahr 2014 dar, alle Tesla-Patente öffentlich zugänglich zu machen. Natürlich war das kein reiner Akt der Nächstenliebe. Das Kalkül war: Wenn andere Autohersteller diese Patente nutzen, um selbst E-Autos zu produzieren, würde Tesla unter anderem von einer besseren Ladeinfrastruktur sowie von einem gegenüber Elektroautos aufgeschlosseneren Markt profitieren.
Das Beispiel zeigt: Hohe Transparenz durch geteiltes Wissen scheint Tesla mächtiger zu machen als das Wissen allein für sich zu behalten. Der aktuelle Aktienkurs scheint das zu wiederzuspiegeln.
Das Unternehmen allsafe Jungfalk ist demgegenüber ein Beispiel für hohe, interne Transparenz.
Der sich selbst „Beta-Chef“ nennende Detlef Lohmann führte bereits vor Jahren absolute Zahlentransparenz ein. Mitarbeiter*innen wird dadurch eine umfassende Informationsbasis geboten, um als Unternehmer*in im Unternehmen tätig werden zu können. Sie werden ermächtigt, für das Unternehmen bessere Entscheidungen zu treffen.
Eine win-win Situation, die sich auch wirtschaftlich für allsafe Jungfalk auszahlt.
Gibt es „zu viel Transparenz“? Und in welchem Kontext macht Verschwiegenheit weiterhin Sinn?
Ein sehr plakatives Beispiel für die Sinnhaftigkeit von Verschwiegenheit (intern und extern) sind Restrukturierungen. In Restrukturierungsprozessen ist es sinnvoll, entlang einer klaren Informationsstrategie zunächst Verschwiegenheit walten zu lassen, solange wichtige Entscheidungen noch nicht getroffen sind.
Sind Umfang, Ablauf und Konsequenzen der Restrukturierung oder Sanierung entschieden, kann zielgerichtet kommuniziert werden, um insbesondere Mitarbeitenden so viel Sicherheit wie möglich zu bieten.
Stellen wir uns vor, ein durch eine Krise bedingter Restrukturierungsprozess würde absolut transparent gehandhabt werden. Alle Mitarbeitenden und Stakeholder bekämen wöchentlich aktuelle Infos aus den Überlegungen der mit der Restrukturierung betrauten Gruppe:
Woche 1: „Erste Analysen zeigen, dass wir vermutlich 100 Mitarbeiter*innen in Werk A entlassen müssen – das prüfen wir aber noch genauer“.
Woche 2: „Wir haben Berater*innen reingeholt und nach neuesten Erkenntnissen sieht es so aus, als wären doch nur 50 Mitarbeiter*innen betroffen“.
Woche 3: „Update: Die ersten Analysen fußten auf zu optimistischen Annahmen – und die Ableitungen der Berater*innen daher auch. Leider werden wir insgesamt 200 Mitarbeiter*innen entlassen müssen. Und zwar in Werk B und C. Werk A ist glücklicherweise nicht betroffen“.
Was für ein Durcheinander! Die absolute Transparenz in dieser Krisensituation würde trotz bester Absichten für Verwirrung, Vertrauenslust und Unglaubwürdigkeit sorgen. Die Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung sowie die Stimmung der Mitarbeitenden – katastrophal.
Natürlich gibt es auch Beispiele, wie in solchen Situationen zu viel Verschwiegenheit dazu führen kann, dass Mitarbeitende aus der Zeitung von der Unternehmenskrise erfahren.
Daher spielt gerade in krisenhaften Kontexten sukzessive Transparenz eine wichtige Rolle. Und unter anderem daher werben wir nicht für gnadenlose Transparenz, sondern für eine angemessen hohe Transparenz. Um diese zu erreichen, müssen die meisten Unternehmen, meist transparenter statt weniger transparent werden.
Noch eine Anmerkung: Die Wahrnehmung von „zu viel Transparenz“ kann auch daher rühren, dass zu viel Wissen verfügbar ist und Mitarbeitende eine Informationsflut erfahren. Wissen muss abrufbar, verdaubar, priorisiert und damit relevant sein.
In einer unserer letzten Notizen (Kontrolle vs. Befähigung) zeigten wir auf, dass die für den jeweiligen Mitarbeiter relevanten Informationen sinnvoll gebündelt sein müssen, um eine Entscheidung oder Handlung zu beschleunigen und/oder verbessern zu können.
Wo beginnt man mit Transparenz? Wie „startet“ man eine offene Unternehmenskultur?
Transparenz ist ein Zustand, und Offenheit eine der dahinterliegenden Denkweisen. Um ein Unternehmen transparenter zu machen, liegt der schnellste und effektivste Hebel bei der Geschäftsführung. In ihrem Handeln und in ihren Entscheidungen muss sich Offenheit widerspiegeln und muss Transparenz angestrebt werden.
So kann die Geschäftsführung durch das Veröffentlichen von Protokollsequenzen im Intranet, durch für alle Mitarbeiter*innen zugängliche Q&A-Sessions mittels Videokonferenz oder durch pragmatische Selfie-Videos auf dem internen YouTube Kanal nach wichtigen Sitzungen, Offenheit ausstrahlen und Transparenz, Nähe und Glaubwürdigkeit erreichen.
Ein kleiner Tipp an dieser Stelle: Transparenz zu erreichen geht schneller und einfacher, wenn der Standard bei Besprechungsprotokollen so verändert wird, dass markiert werden muss, was auf keinen Fall kommuniziert werden darf statt andersherum zu markieren, was veröffentlicht werden soll. Das schärft im Alltag den Sinn dafür, sich selbst regelmäßig zu hinterfragen, an welchen Stellen Verschwiegenheit praktiziert werden muss – statt sich zu hinterfragen, an welchen Stellen man transparenter sein könnte.
Und noch ein weiterer Tipp: Wenn noch nicht inhaltlich kommuniziert werden kann, können Mitarbeiter*innen dennoch Prozessinformationen erhalten. Ein „Wir sind an Thema X dran und werden dazu in 2 Wochen Genaueres berichten können“ kann für Sicherheit und Ruhe sorgen, da die Mitarbeiter*innen erkennen, dass die Führung an relevanten Themen arbeitet und sich der baldigen Entscheidung und Veröffentlichung verpflichtet fühlt.
Transparenz kann sehr effektiv in der Unternehmenskultur verankert werden, indem Leistungsmanagement, Karrieresystem und Vergütungsmanagement zugänglich und verständlich gemacht werden.
Kulturen entwickeln sich entlang der Unternehmensstrukturen – diese zu verändern, schafft kulturellen Wandel. Im Falle von Leistungsmanagement bedeutet das, Unternehmens-, Team- und Individualziele einsehbar zu machen. Das stärkt Motivation und Ausrichtung.
Für das Karrieresystem bedeutet das, Stellen- und Rollenanforderungen zugänglich zu machen und Klarheit über Entwicklungsperspektiven zu bieten. Und für Vergütungsmanagement bedeutet das, allen Mitarbeitenden ein nachvollziehbares Vergütungskonzept transparent darzustellen (siehe dazu auch unsere Notiz zu Gehaltstransparenz).
Sind diese Themen transparent, so sind sie „vom Tisch“ – man erspart sich zahllose Diskussionen und Unklarheiten und setzt den Grundstein für ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis und damit für ein transparentes Unternehmen.
Fazit
In dynamischen Marktumfeldern werden Unternehmen transparenter werden müssen, sowohl nach innen wie nach außen, um Schritt halten zu können mit Wettbewerbern, Kunden und den Bedarfen ihrer Mitarbeitenden.
Eine hundertprozentige Transparenz ist dennoch wenig sinnvoll, kann sie doch zu Unsicherheit und Informationsflut führen. Ziel muss es also sein, eine angemessen hohe Transparenz zu erreichen – und diese liegt oftmals höher als der Status quo.
Angemessen hohe Transparenz bedeutet dabei nicht, jedes Detail zu teilen, sondern Kontext für das Handeln des Unternehmens und die Entscheidungen der Unternehmensführung zu vermitteln.
Transparenz in einer Unternehmenskultur zu verankern gelingt am einfachsten durch die Unternehmensführung und die Personalverantwortlichen. Hier können die Samen gesät werden, die für Vertrauen, Gerechtigkeit und Offenheit sorgen, und die dann von allen Organisationsmitglieder*innen gegossen und weiterentwickelt werden.