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Strukturen in Kranken Organisationen (6/7)

Im sechsten Teil unserer Serie zur Kranken und Kränkelnden Organisation richten wir unsere Perspektive auf Unternehmensstrukturen und zeigen typische Schwachstellen und Nachteile auf, die durch starre oder lose Organisationsdesigns entstehen können.

Klar ist, in globalisierten und digitalen Unternehmenskontexten, in denen wir uns heute bewegen, haben klassisch-hierarchische Organisationsmodelle es zunehmend schwer, da ihnen die nötige Anpassungsfähigkeit und Agilität fehlt, um auf volatile Umweltveränderungen schnell genug reagieren zu können. Wohl aus Protest gegen die absolutistischen Strukturen der traditionellen Betriebswirtschaftslehre bildeten sich allerdings auch Ansätze, die den Wunsch nach Freiheit überinterpretierten und lose Strukturen schufen, denen es an Effizienz, Organisationsvermögen und Orientierungsfähigkeit fehlt. In der Tat liegt das ideale Organisationsdesign wohl irgendwo zwischen diesen beiden Extremen: eine ambidextere Struktur, die Effizienz und Agilität vereint – der heilige Gral der Organisationsentwickler.

Bereits in den Notizen der letzten Monate haben wir die Kranke Organisation und die Kränkelnde Organisation ausgefaltet und dabei aufgezeigt, dass Kränkelnde Organisationen oft zwischen zwei Extremen schwanken: Ihre Strategien sind eher verschwenderisch oder ausbeutend, ihre Beziehungen eher unterwürfig oder überheblich, die Organisationskultur eher altruistisch oder egozentrisch und die Mitarbeiter eher gestresst oder gelangweilt. Das gleiche gilt auch für Strukturen, die oftmals entweder viel zu starr gestaltet oder nur lose formuliert werden (vgl. Abb. 1). Damit stehen die Kranke und die Kränkelnde Organisation  im direkten Gegensatz zu unserem Idealbild eines balancierten Unternehmens, der Gesunden Organisation.

Kranke Organisation Wabenmodell Struktur Kultur 6

Abbildung 1: Die Kranke Organisation

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Organisationsstruktur und Unternehmensleistung?

Sowohl lose als auch starre Organisationsstrukturen wirken sich negativ auf die Unternehmensleistung aus. Denn in losen Strukturen herrscht oft Chaos, die Organisation ist überfordert und kann nicht effektiv arbeiten, da sie ihre Ressourcen (Mitarbeiter, Wissen, Budgets, Equipment etc.) nicht sinnvoll kombinieren und vernetzen kann. Dies ist häufig in Start-Ups der Fall, in denen es an effizienten Abläufen, Standards und vernetzter Wissensanwendung mangelt. Demgegenüber sehen sich vor allem Konzerne und große Mittelständler häufig einem überregulierten Unternehmensapparat ausgesetzt, in dem Entscheidungen über mehrere Ebenen laufen müssen, Budgets nur umständlich freigegeben werden können, Informationen und Wissen lange Zeit brauchen, um ihr Ziel zu erreichen, wirkliche Innovationen nicht stattfinden und Kunden nicht individuell unterstützt werden können. Diese „kontrollfanatische“ Ordnung verhindert eine höhere Unternehmensleistung, da sie die Organisation ausbremst und ihr jegliche Beweglichkeit und Flexibilität nimmt. In Abbildung 2, welche auf einer Darstellung aus „The Connected Company“ basiert, wird die Auswirkung von strukturellen und prozeduralen Einschränkungen auf die Unternehmensleistung dargestellt. Dabei wird deutlich, dass Unternehmensstrukturen einen Mittelweg zwischen Chaos und Ordnung finden sollten, um möglichst leistungsfähig zu sein.

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Abbildung 2: Auswirkungen von strukturellen und prozeduralen Einschränkungen auf die organisationale Leistung in Anlehnung an Gray & Vander Wal (2014) (eigene Darstellung)

Zufriedenere Kunden durch dezentrale Strukturen

Diesen Mittelweg beschreiben wir in der Gesunden Organisation als „adaptive Strukturen“, also Unternehmenssysteme, die einerseits einen klaren Organisationsaufbau mitbringen, der Orientierung bietet, andererseits Offenheit für Entscheidungsfreiräume und Entfaltung von Potenzialen ermöglicht, um der Organisation in einem volatilen, unsicheren und komplexen Kontext die nötige Beweglichkeit zu verleihen. Das bedeutet auch, Mitarbeitern mehr Verantwortung zu übergeben und kundennahe Bereiche zu stärken, also zu dezentralisieren. Dalia Marin, Professorin für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, beschreibt in einem Zeit-Artikel, warum dezentrale Strukturen deutschen Exportunternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten verschaffen:

„Die deutschen Exportunternehmen sind durch ihre dezentrale Organisation näher beim Markt und besser über Kundenwünsche informiert als viele ihrer Konkurrenten. Eine dezentralisierte Organisation führt dadurch offenbar dazu, dass sich die Produktqualität der Exporte verbessert. Wenn die stimmt, zahlen die Kunden auch gern einen höheren Preis.“ (Marin, 2015)

Adaptive Strukturen führen zu einer höheren Kundenzufriedenheit, da die Servicequalität gegenüber einer überforderten oder trägen Organisation deutlich ausgeprägter ist. Kundennahe Mitarbeiter sind direkt am Markt und am Kunden und verstehen somit auch wandelnde Kundenbedürfnisse und Marktentwicklungen schneller. Ihr Wissen und Ihre Kompetenz muss im Unternehmen weitergeleitet und vernetzt werden, um direkten Einfluss auf operatives Handeln und strategische Entscheidungen zu nehmen. Daher müssen Strukturen auch als Strategietreiber und -umsetzer verstanden werden. Eine markt- und ressourcenorientierte Strategie wird letztlich durch adaptive Strukturen ermöglicht und implementiert (vgl. „Führen in der Gesunden Organisation“).

Starre Strukturen: Marmor, Stein und Eisen bricht…

Starre Strukturen lassen sich metaphorisch gut mit Asphalt beschreiben. Genau wie eine Straße, ist auch eine starre Organisation im Prinzip grundsolide, doch wenn der Winter kälter ist als sonst oder eine Baumwurzel sich unerwartet ihren Weg durch den Untergrund bohrt, platzt der Asphalt auf. Starre Organisationen sind also, genau wie asphaltierte Straßen, für einen ruhigen, voraussehbaren Kontext bestens geeignet, für Überraschungen allerdings nicht. Und Straßen zu erweitern oder zu reparieren, ist bekanntermaßen eine aufwendige und teure Angelegenheit. Genauso fällt es starren Organisationen schwer, auf volatile Kontexte und Ereignisse zu reagieren und sich neuen Gegebenheiten flexibel anzupassen.

Nehmen wir das Beispiel Digitalisierung: Um der digitalen Transformation gerecht zu werden, müssen Unternehmen an alteingesessenen Hierarchien wackeln und neue, transparente und vernetzte Strukturen entwickeln sowie dynamischere Arbeitskulturen bilden. Eigentlich. In der Praxis zeigt sich laut einer Studie von InterSearch: 55 Prozent der deutschen Mittelständler sind der Ansicht, dass sich bestehende Hierarchien nicht verändern werden (InterSearch Executive Consultants, 2015). Doch um am Puls der Zeit und vor allem am Puls des Markts zu bleiben, ist eine inkrementelle Strukturveränderung unabdingbar. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass sich in Organisationsstrukturen häufig ganze Unternehmensphilosophien und -ideologien widerspiegeln. Auch darum fällt vielen Unternehmen ein Strukturwandel so schwer, schließlich müssen sie gegen ihre Instinkte und gegen ihre Gewohnheiten handeln.

Was Daimler und Nashörner gemein haben

Kollektives Umdenken kann allerdings funktionieren, selbst in einem großen und konservativen Unternehmen wie Daimler. Der Aufschwung Teslas, die zunehmende Autonomisierung und Digitalisierung und die Wende in Richtung Elektromobilität rütteln an vielen Prinzipien des stolzen Daimler-Konzerns. Doch im Angesicht dieser „Gefahren“ beschließt Daimler auf einmal, Verantwortung stärker zu dezentralisieren und experimentelle Methoden wie „Corporate Crowdfunding“ einzuführen, um damit den Vorsprung der Silicon Valley Unternehmen wieder aufzuholen (Taylor & Wissenbach, 2016). Vor Jahren noch undenkbar, übernimmt Daimler agile Managementmethoden und adaptive Strukturkonzepte von jüngeren, unerfahrenen Organisationen. Keine Frage, das ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung, denn gerade große Konzerne können durch adaptive Strukturen deutlich beweglicher und flexibler werden. Dieter Zetsche vergleicht sein Unternehmen deshalb mit einem Nashorn – sehr groß, aber nicht träge.

Lose Strukturen: Wenn Chaos herrscht

Demgegenüber gleichen lose Organisationsdesigns eher einem Mikado-Spiel, bei dem die Stäbchen zwar ein vernetztes, aber eben auch unklares und fragiles System ergeben. Wie die einzelnen Stäbchen, also Mitarbeiter, zusammenhängen, erscheint oft undurchsichtig. Zwar beeinflussen die Mitarbeiter sich gegenseitig und sind auch voneinander abhängig, doch es ergibt sich kein klarer Prozessfluss und keine effiziente Aufgabenorganisation. Rollen sind unklar, Zuständigkeiten nicht eindeutig verteilt. In volatilen Kontexten gerät die Organisation zwar in Bewegung und reagiert auf die externen Einflüsse, doch eigentlich entsteht nur Chaos, in dem die Stäbchen wild durcheinanderrollen und sich keine eindeutige und entscheidende Reaktion ergibt. Das Organisationssystem selbst wirkt volatil, zerbrechlich und unruhig.

Fazit

Die optimale Gestaltung Ihrer Organisationsstrukturen gelingt weder über eine Befreiung von organisationalen Prinzipien und effizienten Systemen, noch über die Einführung einer rigorosen zentralen Kontrolle und einer eindeutig definierten Hierarchie. In der Praxis zeigt sich, dass viele Organisationen über die Jahre von einem Extrem ins andere und wieder zurück oszillieren, ohne eine gesunde Position zwischen den beiden Polen einzunehmen. Menschen neigen häufig zur Überreaktion: Verlieren wir die Kontrolle, führen wir strikte Kontrollsysteme ein; fühlen wir uns von diesen Systemen eingeengt, wollen wir auf einmal besonders „lean“ und „agil“ sein. Deshalb müssen wir uns darauf besinnen, den schmalen Grat zwischen den beiden Gefällen zu finden und beizubehalten. Denn irgendwo dort findet sich auch die Kombination von Agilität und Effizienz – Ambidextrie. Ambidexter arbeiten bedeutet, mit beiden Händen gleich geschickt zu sein und zwei Tätigkeiten aufeinander abzustimmen; also, zum einen gewohnte Prozesse und Abläufe möglichst schnell und sauber zu erledigen und gleichzeitig neue Ideen zu verfolgen, zu experimentieren und alternative Wege zu erkunden.

Im Konzept der adaptiven Strukturen vereinigen sich die Ansätze der Ambidextrie, der Kundenfokussierung, der Dezentralisierung, der Netzwerkorganisation, der Holakratie und der Zellenorganisation. In Abbildung 3 zeigen wir eine Organisationsstruktur auf, die ambidexter arbeitet, exploitative und explorative Funktionen vernetzt, über eine zentrale Plattform eine effiziente Zusammenarbeit gewährleisten kann und über kundennahedynamische Teams immer am Puls des Markts ist: adaptiv und effektiv. Wen das Thema näher interessiert, der findet in „Führen in der Gesunden Organisation“ ausführliche Beschreibungen und Bewertungen verschiedener Unternehmensstrukturen sowie praktische Vorgehensweisen zur Implementierung adaptiver Strukturen.

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Abbildung 3: Adaptive Strukturen mit hervorgehobener strukturellen Ambidextrie (eigene Darstellung)

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