Agile Leadership – Teil 1
Die Welt wird volatiler und komplexer – und Unternehmen werden agiler, um in dieser neuen Welt zu überleben. Diese Aussage haben Sie in den letzten 3 bis 10 Jahren sicherlich in dieser oder einer anderen Form hundertfach gehört. Auch wir haben immer wieder darüber geschrieben.
Agile Methoden und „Frameworks“ halten Einzug in fast alle Konzerne und Mittelständler. Agile Prinzipien und Werte werden auf Poster gedruckt und demonstrativ an Bürowände gehangen. Und agile Artefakte wie Kanban Boards und Haftnotizen säumen die Gänge von Tech Startups und Wirtschaftsriesen. Wie ernst die vielen Unternehmen es wirklich mit dem Agil-sein meinen – dazu finden Sie mehr in unseren Notizen zu „Sense of Urgency“ und „Practice what you preach“.
In unserer neuen Notizenserie möchten wir uns einem Mysterium annähern, das eines der wichtigsten Elemente ist, um Agilität in einer Organisation wirklich zu verinnerlichen, und das dennoch unglaublich schwer zu fassen ist: Agile Leadership – also Agile Führung.
Wozu braucht es Agile Leaders?
Wer wissen will, welche Trends und Entwicklungen Agilität in der Wirtschaftswelt nimmt, der liest den Annual State of Agile Report. Das haben wir auch gemacht – um besser zu verstehen, warum das ernsthafte Verinnerlichen von agilen Arbeits-, Denk- und Verhaltensweisen vielen Organisationen so schwerfällt. Unter den Top 5 Hindernissen, warum viele Unternehmen sich so schwertun, agiler zu werden, finden wir die folgenden 4:
- Generelle organisationale Change-Resistenz
Vermutlich überraschen diese Hindernisse Sie genau so wenig wie uns. Denn – sind wir mal ehrlich – die 4 Ursachen kennen wir alle aus zahlreichen Change-Projekten. Nur weil es um Agilität geht, heißt das nicht, dass die Stolperfallen gänzlich andere wären als bei Change-Vorhaben wie Kostensenkung, Reorganisation, Strategiewechsel oder Digitalisierung. Und, wie wir aus ebendiesen Change Vorhaben wissen, liegt einer der größten Change-Hebel in der Führung.
Wenn wir uns also die 4 oben genannten Hindernisse anschauen, so würden diese durch Führung – in diesem Fall Agile Führung – gelöst werden können. Denn gute Führung kann mit Change-Widerstand umgehen, beteiligt sich an Veränderungsvorhaben, formt und verändert Unternehmenskulturen und „sponsert“ Transformationsvorhaben. Und genau darum braucht es Agile Leaders – sie sind mit der größte Erfolgshebel, um Unternehmen agiler zu gestalten. Führungskräfte sind die Treiber der Agilität.
Was ist ein Agile Leader?
Aber, was genau sind denn nun Agile Leaders? Gehen wir davon aus, dass Agilität als Kernkompetenz eines Unternehmens die Anpassungsfähigkeit an volatile, komplexe Kontexte beschreibt. Dann sind Agile Leaders…
Führungskräfte, die in disruptiven Umgebungen erfolgreich sind.
Das heißt, in einem VUCA-Kontext ist ein Agile Leader erfolgreicher als eine Führungskraft, die nicht agil führt. Wichtig: Die Definition zeigt auch auf, dass Agile Leaders eben nicht in allen Kontexten, überall und jederzeit erfolgreicher sind als andere Führungskräfte – sondern eben nur in disruptiven Umgebungen. Wenn Ihr Unternehmen also in einem eher trägen, antizipierbarem Markt agiert, in dem die Erfolgsrezepte von vor 10 Jahren auch heute noch Erfolg versprechen – dann sind in Ihrem Unternehmen vermutlich die Führungskräfte erfolgreicher, die Effizienz, Standardisierung und Kostenreduktion beherrschen.
Welche Kompetenzen hat ein Agile Leader?
Die Studie „Redefining Leadership for a Digital Age” des IMD International Institute for Management Development und der metaBeratung GmbH zeigt auf, dass Führungskräfte, die in disruptiven Umgebungen erfolgreicher sind als andere, sich durch ein anderes Kompetenzprofil auszeichnen. Insbesondere sind es diese 4 personalen und sozial-kommunikativen Kompetenzen:
Ein Agile Leader ist demnach …
- Bescheiden, also in der Lage, sich selbst zurückzunehmen, Feedback anzunehmen und von anderen zu lerne
- Anpassungsfähig, also entwicklungs- und veränderungskompetent und fähig, die eigene Meinung und Vorgehensweise aufgrund wichtiger neuer Informationen zu verändern
- Visionär, also vorausschauend, inspiriert, passioniert und fähig, eine langfristige Ausrichtung zu verfolgen, auch angesichts kurzfristiger Unsicherheiten
- Engagiert, also vernetzend, interessiert über-den-Tellerrand-schauend, kommunikativ, mit einem Blick für Trends, und stets im Kontakt mit internen und externen Stakeholdern
In unserer Notizenserie zu Agile Leadership werden wir uns unter anderem näher mit diesen 4 Kompetenzen auseinandersetzen. In dieser Notiz haben wir die Grundlagen für ein Verständnis von Agile Leadership gelegt und schauen uns nun noch kurz die erste Kompetenz an …
Bescheidenheit? Darin bin ich der Beste!
Das Aufkommen von Demut und Bescheidenheit in der Führungslehre hat spätestens seit der Verbreitung der sogenannten „Servant Leadership Theorie“ stark zugenommen. Demnach ist Führung ein Dienst am Geführten, und steht damit im krassen Gegensatz zu klassischen Führungsmodellen wie Command & Control, aber auch Transformationaler Führung, die die Führungskraft auf ein Podest heben. Der Servant Leader, also die dienende Führungskraft, zeichnet sich unter anderem durch Empathie, Achtsamkeit und eben Bescheidenheit aus.
Doch, weshalb sollte Bescheidenheit in disruptiven Umfeldern eine wichtige Kompetenz sein? Ganz einfach: In einem disruptiven Umfeld verändern sich die Bedingungen schnell. Teams können also besonders gut agieren, wenn sie schnell lernen und wenn sie dank ihrer im Team verteilten Kompetenzen rasch reagieren können.
Die Führungskraft in einem solchen Team muss verstehen und verinnerlichen, dass es keine einfachen und klaren Antworten auf komplexe Herausforderungen gibt, und dass andere Teammitglieder womöglich besser geeignet sind, um in diesem Moment Entscheidungen zu treffen – z.B. da sie andere Kompetenzen und Erfahrungen als die Führungskraft besitzen.
Ist die Führungskraft bescheiden, so ist es für das Team deutlich einfacher, sich auszuprobieren, neue Informationen zuzulassen, und die beste Idee auszuprobieren – statt der Meinung der Führungskraft („Highest paid opinion bzw. higher paid judgement“) zu folgen.
Agile Leaders fördern Lernen im Team und ermöglichen Potenzialentfaltung über das Wissen, die Ideen und die Erfahrungen der einzelnen Teammitglieder, die meist Experten in ihrem Fachgebiet sind. Führungskräfte können insbesondere in disruptiven Kontexten nicht mehr Fachexperten sein und Antworten auf alle Fragen haben. Vielmehr sollten sie das Expertentum ihrer Teammitglieder fördern und sich selbst darauf konzentrieren, diesen Experten in einem cross-funktionalen Team Hindernisse aus dem Weg zu räumen und eine Plattform, also eine Umgebung zu bauen, auf der diese schnelle Entscheidungen für das Team treffen können.
Das bedeutet, sich selbst zurückzunehmen, von anderen zu lernen, seine Kunden und Stakeholder wirklich verstehen zu wollen, neugierig zu bleiben, sich überraschen zu lassen, und den Erfolg des Teams vor den eigenen Erfolg zu stellen.
Fazit
Viele Unternehmen müssen agiler werden, um auf eine VUCA-Welt zu reagieren. Eine Binsenweisheit. Führung ist einer der größten Hebel, um Organisationen agil zu gestalten – und Hindernisse auf dem Weg zur Agilität aus dem Weg zu räumen. Manche Führungskräfte sind besser geeignet als andere Führungskräfte, um Teams und Unternehmen in disruptiven Kontexten erfolgreich zu führen.
Diese Agile Leaders sind eher bescheiden, anpassungsfähig, visionär und engagiert. Und Bescheidenheit bedeutet, sich selbst zurückzunehmen und anzuerkennen, dass andere Menschen in vielen Situationen kompetenter sind als man selbst – und dass deswegen diese Menschen Ideen erarbeiten und entscheiden sollten. Auf die weiteren Kompetenzen von agilen Führungskräften gehen wir in den nächsten Notizen ein.
Quellen
Digital.ai (2020) 14th Annual State of Agile Report
Neubauer, Tarling, Wade (2017) Redefining Leadership for a Digital Age. IMD International Institute for Management Development und metaBeratung GmbH