Wie Sie Ihr Team führen, indem Sie räumliche Nähe fördern
Unternehmen bezeichnen sich gerne als modern, wenn sie beschreiben, dass die Tür zum Büro der Führungskraft immer offen ist. In diesem Zusammenhang fallen dann Schlagwörter wie „flache Hierarchien“ oder „kurze Entscheidungswege“.
Die Frage ist, ob es ausreichend ist, dass Mitarbeiter ihre Führungskraft bei Fragen und Wünsche jederzeit ansprechen können? Um es zu polarisieren: Sollten Führungskräfte in der vielzitierten VUCA-Welt abwarten, bis die Mitarbeiter zu ihnen kommen anstatt zu diesen zu gehen?
Wissen Sie, was in den Köpfen Ihrer Mitarbeitenden vorgeht? Wie sie fühlen, was sie denken und wie die Stimmung im Büro ist? Mehr persönliche Gespräche kann die Kommunikation und Atmosphäre verbessern und agiles Führen erleichtern.
Welche Möglichkeiten bieten sich an?
Der Autor Jurgen Apello beschreibt, dass Führen zu 95% aus Kommunikation besteht. Wie lässt sich gutes Kommunikationsverhalten in eng getakteten Tagesplänen realisieren und wie kann man hierbei pragmatisch vorgehen?
„Management by Walking around“
Der spontane Besuch einer Planungssitzung, eines „Stand-Up Meeting`s“ oder der Kaffeemaschine, bieten eine hervorragende Möglichkeit, Ihren Mitarbeitern zuzuhören, mit ihnen zu sprechen und sich mit ihnen über die anstehenden Projekte auszutauschen.
Und das persönliche Gespräch muss sich nicht ausschließlich auf die Arbeit beziehen. Gerade die Begegnung beim gemeinsamen Mittagessen oder auch mal nach Feierabend erweist sich als ausschlaggebender Faktor für die Teamleistung, da hier ein Großteil positiver Veränderungen bewirkt werden kann.
Die Start-up Kultur macht hier vor, was in vielen Konzernen längst verloren gegangen ist: Nach der Arbeit sitzt man noch etwas zusammen und tauscht sich aus. In den meisten Großunternehmen aus meiner Erfahrung ein Ding der Unmöglichkeit: Jede/r sucht so schnell wie möglich das Weite, um den eigenen Bedürfnissen endlich nachgehen zu können.
„Management by Sitting around“
Einzel- und Zweierbüros werden sich zunehmend auflösen (siehe Blogbeitrag zur Learning Journey). Verlegen Sie deshalb immer mal wieder Ihren Arbeitsplatz zu Ihrem Team.
Sie sind dadurch viel näher dran, erhalten Infos darüber, was inhaltlich und emotional vor sich geht, und können so besser verstehen, worüber sich Ihre Mitarbeiter Gedanken machen. Automatisch wird der Austausch zwischen Ihnen und Ihrem Team größer werden. Selbst wenn es nur wenige Schritte bis ins Nachbarbüro sind, der Mensch ist von Natur aus eher bequem und bleibt erst mal sitzen, bevor er/sie sich bewegt.
Durch die entstandene Nähe bekommen Sie schneller subtile Hinweise und können darauf zeitnah reagieren. Voraussetzung ist, dass eine Kultur existiert, in der „Sitting around“ nicht mit Freizeit oder Nichtstun gleichgesetzt wird, sondern ein wichtiger Teil von Arbeit und dem Aufbau von Beziehungen dient.
„Management by Skyping around“
Eine Studie des Ökonomen E. Glenn Dutcher (2012) ergab, dass Bildschirmarbeit bei kreativen Aufgaben positive Auswirkungen auf die Produktivität hat.
Bekannt ist allerdings auch, dass Kreativität ohne häufiges Zusammenbringen der Gedanken und dem Durchmischen von Ideen nicht zielgerichtet ist.
Die Herausforderung besteht also darin, Kreativität zu fördern, die Produktivität zu steigern und dabei die dafür benötigte Kommunikation mit Teammitgliedern zu gewährleisten, damit wiederum Kreativität gefördert wird.
Lösungen stellen Applikationen wie Skype, Google Hangouts, Slack, Zoom und all die anderen Apps dar, die eine Videofunktion bieten. Diese Möglichkeiten werden schon vielfach eingesetzt. Gerade dieser Tage hat mir ein Kunde erzählt, dass sie für ihre Videokonferenzen eine neue 3D-Technik (von HP) einsetzen, die eine herausragende Nähe zu den anderen Teilnehmern der Videokonferenz ermöglicht – und das völlig ohne Brille. 8k-Monitore der Zukunft werden ihr übriges dazu tun. Es wird also nicht mehr allzu lange dauern, bis Videokonferenzen eine gute Alternative des Miteinanders ermöglichen werden. Präsenztreffen werden dadurch jedoch nicht ersetzt werden können.
Englische Studie der Webster University Geneva zur Produktivität HERUNTERLADEN
Herausforderungen in der Umsetzung von „face time“
Welche Hürden erschweren die Umsetzung von face time? Worauf ist im Unternehmenskontext zu achten?
- Eng getaktete Tagespläne
„Keine Zeit“ ist das häufigste Argument für ein Verhalten, das auf dem Paradigma der Dringlichkeit statt dem der Wichtigkeit beruht. Klar, jeder Tag hat nur 24 Stunden und es gibt genug zu tun.
Deshalb lohnt sich die Frage: Was ist Ihnen wichtig? Und was ist langfristig gesund für Sie, Ihr Team und Ihre Organisation?
Am Ende ist es eine Frage der persönlichen Haltung, ob man die Nähe zum Team sucht oder eher meidet.
Reflektieren Sie deshalb: Wie wichtig ist Ihnen die Nähe zu Ihrem Team wirklich? Es gibt hier kein richtig oder falsch, sondern nur eine offene Analyse Ihrer persönlichen Präferenzen und der Ableitung passender Maßnahmen.
- Jeder ist anders
Manche Kollegen verbringen ihren Tag am liebsten für sich, Austausch und Kommunikation mit anderen werden als unnötig oder gar störend erlebt.
Was also tun bei Menschen, denen persönliche Nähe eher unangenehm ist? Wie erfahren Sie, was diesen Mitarbeitenden wichtig ist, wie sie fühlen und welche Fragen sie haben?
Eine Möglichkeit kann ganz pragmatisch darin liegen, die Kaffee- oder Mittagspause zu nutzen, um persönliches Interesse zu zeigen. Es gibt einige Unternehmen, bei denen es Teil der Unternehmenskultur ist, sich mit anderen zum Mittagessen zu verabreden. Auf diese Weise kann relativ zwanglos mehr Nähe entstehen. - Kontrollempfinden
Leider gibt es genügend Organisationen, in denen sich die Gespräche komplett verändern oder Stillschweigen eintritt, wenn die Führungskraft den Raum betritt. Die Mitarbeitenden fühlen sich kontrolliert und möchten Fehler vermeiden.
Dies zeugt von einer kränkelnden Organisationskultur. Dieses Empfinden der Mitarbeiter kann zwar aufgeweicht werden, indem räumliche Nähe der Führungskraft zum Team als normales Führungsinstrument angekündigt und praktiziert wird, sodass mit der Zeit mehr Bereitschaft zu Kommunikation und Ungezwungenheit entsteht.
Betrachtet man dieses Phänomen in einem erweiterten Kontext der Organisationskultur, wird deutlich, dass dieses Muster vermutlich nur dadurch verbessert werden kann, indem Sie Ihre Organisationskultur hinterfragen und eine ganzheitliche Herangehensweise unter Berücksichtigung der diversen Aspekte und Interdependenzen einer Organisation (s. Abbildung 1) verfolgen.
Abbildung 1: Wabenmodell der Gesunden Organisation (Kallenbach 2016)
Fazit
Die räumliche Nähe zwischen Führungskraft und Mitarbeitern ist eine gute Möglichkeit, um über direkte Kommunikation Herausforderungen schnell und effizient zu lösen. Das persönliche Gespräch bleibt – gerade in der digitalisierten Welt – ein extrem wichtiger Bestandteil, um gesunde Beziehungen und eine gemeinschaftliche Kultur aufzubauen. Dabei werden die Möglichkeiten vielfältiger und gleichzeitig differenzierter. Welchen Weg Sie letztlich wählen, ist abhängig von Ihren persönlichen Präferenzen und denen Ihrer Mitarbeiter. Eines ist jedoch klar: Abzuwarten, bis jemand auf Sie zukommt, ist nicht ausreichend 😉