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Erfolgsmodell 30-Stunden Woche?

Ein Sechs-Stunden Arbeitstag? Klingt zu schön, um wahr zu sein. Und doch zeigen innovative Unternehmen, wie man verkürzte Arbeitszeiten und Wirtschaftlichkeit verbinden kann. In dieser Notiz wird zunächst ein Überblick über durchschnittliche Arbeitszeiten in Deutschland und im internationalen Vergleich geboten, bevor wir den Vor- und Nachteilen eines kürzeren Arbeitstages auf den Grund gehen. Abschließend stellen wir einen sinnvollen Ansatz vor, der Ihnen und Ihrem Unternehmen dabei helfen kann, Mitarbeiterzufriedenheit, -gesundheit und -engagement zu steigern und gleichzeitig wirtschaftlich zu bleiben.

Arbeitszeiten im internationalen Vergleich

Wir Deutschen sind die fleißigsten – Arbeit ist unser Leben! So denken wir zumindest häufig. Wir fühlen uns als Wirtschaftsmacht und jeder Einzelne arbeitet hart dafür, besonders auch die Führungskräfte. Als schillerndes Vorbild schreiten wir voran, während in anderen Ländern gefaulenzt wird. Doch die Realität zeichnet ein anderes Bild: Ein Bericht der OECD zeigt auf, dass in Deutschland tatsächlich weniger gearbeitet wird als in vielen anderen Industrieländern.

In Abbildung 1 wird deutlich, dass deutsche Arbeitnehmer im Schnitt „nur“ etwa 1.400 Stunden pro Jahr arbeiten, während zum Beispiel in Japan, den USA oder Griechenland Mitarbeiter weit mehr arbeiten müssen. Deutschland profitiert dabei von den relativ geringen gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeiten, den längeren Jahresurlauben, häufigeren Feiertagen und von der großen Anzahl an Teilzeitarbeitsplätzen.

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Abbildung 1: Durchschnittliche Zahl an Arbeitsstunden pro Jahr und Person in Beschäftigung in ausgewählten OECD-Ländern, Quelle: OECD, 2012

Betrachtet man ausschließlich die Arbeitsstunden für Vollbeschäftigte, sieht das Bild allerdings anders aus: vollbeschäftigte Deutsche leisten jährlich 1.904 Stunden, Franzosen hingegen lediglich 1.679 (Coe-Rexecode, 2016). Dafür erwirtschaften französische Arbeitnehmer 42,60 Euro pro Stunde, niederländische Beschäftigte 47,30 Euro und die deutschen „nur“ 36,80 Euro (Hanke, 2012). Auch wenn die Untersuchungen unterschiedliche Perspektiven einnehmen, wird deutlich: Deutschland ist gewiss kein Land, in dem Beschäftigte mehr arbeiten müssen oder deutlich produktiver sind als Arbeitnehmer in anderen Ländern.

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Wie viele Stunden arbeiten die Deutschen pro Woche?

 Der Arbeitszeitreport Deutschland 2016 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) untersucht die Arbeitszeit der Deutschen genauer. In Abbildung 2 wird die tatsächliche Arbeitszeit von Frauen und Männern dargestellt. Hier zeigt sich, dass Frauen, aufgrund von Teilzeitbeschäftigungen, im Durchschnitt kürzer arbeiten als Männer. Über die Hälfte aller männlichen und ein Drittel der weiblichen Beschäftigten arbeitet wöchentlich zwischen 40 und 47 Stunden. Nur 16 Prozent der Männer und Frauen arbeiten 35 bis 39 Wochenstunden, eine verkürzte Arbeitswoche ist demnach die Ausnahme von der Regel.

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Abbildung 2: Tatsächliche Wochenarbeitszeit nach Geschlecht, Quelle: Arbeitszeitreport Deutschland 2016, baua

Sind lange Arbeitszeiten effektiver?

Nein. Statistiken von Eurostat zeigen, dass die Produktivität pro gearbeiteter Stunde in Ländern mit niedrigeren Wochenarbeitsstunden höher ist. Deutschland weist bei einer relativ geringen Wochenarbeitszeit eine überdurchschnittliche Produktivität pro Stunde auf, während süd- und osteuropäische Länder mit ihren längeren Arbeitszeiten deutlich weniger produktiv sind (Seifert, 2007). Auch neueste Forschungsergebnisse der University of Melbourne weisen in diese Richtung: Die Forscher stellten fest, dass die kognitive Fähigkeit bis zu einer Wochenarbeitszeit von 25 Stunden zunimmt und dann, bei längeren Wochenarbeitszeiten, abnimmt (Kajitani, McKenzie, & Sakata, 2016). Es folgt daraus, dass längere Arbeitszeiten die Fehlerzahl erhöhen und Leistungsfähigkeit sowie Konzentration verringern. Soweit zur Theorie: Aber…

… wie funktioniert ein fünf- oder sechsstündiger Arbeitstag in der Praxis?

Ist die 30 Stunden Woche DAS Erfolgsmodell? Bereits seit vielen Jahren werden in Schweden neue Arbeitsmodelle mit kürzeren Arbeitszeiten getestet, die bekanntesten Experimente fanden in Kiruna bereits ab 1989 statt, derzeit erregt vor allem das Svartedalens-Altenheim in Göteborg Aufsehen. Dort wurde der Arbeitstag bei gleichbleibender Bezahlung auf sechs Stunden gekürzt. 2005 wurde das Experiment in Kiruna aus Kostengründen abgebrochen, das Projekt in Göteborg erzielte noch keine klaren Ergebnisse. Eines haben die meisten dieser Versuche aber gemeinsam: Sie waren Ergebnis politischer Entscheidungen und wurden daher in öffentlichen Einrichtungen durchgeführt, auch deswegen sind die Ergebnisse nur schwer messbar und auf die freie Wirtschaft zu übertragen. Doch sie zeigen auch: Verkürzte Arbeitszeit bedeutet nicht unbedingt bessere Wirtschaftlichkeit. Zwar berichten die betroffenen Mitarbeiter, entspannter und motivierter zu sein und sich besser auf ihren Job konzentrieren zu können, doch gleichzeitig mussten zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden, um die konstanten Arbeitsanforderungen bewältigen zu können.

Vorteile eines kürzeren Arbeitstags

Gilt also immer die folgende Regel: Die Qualität der Arbeit sowie die Leistungsfähigkeit steigen, parallel dazu steigen aber auch die Kosten? Beispiele aus der schwedischen Wirtschaft scheinen das Gegenteil zu beweisen. Ähnlich wie bereits 2002 das Göteborger Toyota-Werk, kürzte nun unter anderem App-Entwickler Filimundus die tägliche Arbeitszeit auf sechs Stunden bei gleichbleibender Bezahlung. Die Mitarbeiter wurden gebeten, weniger Social Media zu nutzen und es wurden einige Meetings gestrichen. Produktivitätseinbußen gab es keine, dafür stieg die Konzentration bei der Arbeit und Beschäftigten hatten noch Restenergie für ihren privaten Alltag. So wird ein verkürzter Arbeitstag zu einem starken Arbeitgeberargument. Auch das schwedische Tech-Startup Brath sieht im Sechs-Stunden-Tag einen großen Vorteil für sein Employer Branding (Peters, 2015). Die Vorteile von verkürzter Arbeitszeit liegen also auf der Hand: höhere Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Arbeitsqualität, höhere Konzentration, höhere Energie, geringere Fehlerquote, stärkere Arbeitgebermarke. So kann der Sechs-Stunden Tag sowohl „Burn-outs“ wie auch „Bore-outs“ verhindern und gleichzeitig einen entscheidenden Vorteil im Kampf um Talente und in der Retention starker Mitarbeiter bieten. Wichtig ist auch das Arbeitsumfeld, also die Frage: „Wie wir in Zukunft arbeiten werden?“.

Nachteile eines kürzeren Arbeitstags

Wie bereits angedeutet, sind sich einige Experten einig, dass ein kürzerer Arbeitstag bei gleicher Bezahlung die Kosten in die Höhe treibt. Eigentlich logisch, denn es scheint fraglich, ob Beschäftigte in sechs Stunden dieselbe Gesamtleistung erbringen wie in acht Stunden. So müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt oder weniger Aufträge angenommen werden. Um die Produktivität konstant zu halten, müssten Mitarbeiter außerordentlich motiviert werden, in kürzerer Zeit denselben Arbeitsaufwand zu bewältigen. Wie kann das funktionieren?

Das US-amerikanische Startup Tower reduzierte die tägliche Arbeitszeit sogar auf nur fünf Stunden, die Mitarbeiter verdienen dasselbe wie vorher und besitzen nun auch Unternehmensanteile. Laut CEO Stephan Aarstol wurde das Unternehmen dadurch deutlich produktiver und profitabler. Einen Haken hat die Sache aber dennoch: Aarstol feuert einen Mitarbeiter, wenn dieser in den fünf Stunden nicht mindestens doppelt so produktiv ist wie ein Durchschnittsarbeitnehmer (Aarstol, 2016).

Dies ist mit Sicherheit ein sehr radikales Beispiel, doch es zeigt: Der Druck auf Mitarbeiter könnte weiter wachsen, schließlich müssen sie beweisen, dass sie die verkürzte Arbeitszeit mit gleichbleibender Leistung „zurückzahlen“. Die Nachteile eines kurzen Arbeitstags bei gleichbleibender Bezahlung sind also höhere Kosten und steigender Druck. Außerdem bleibt die Frage, ob kürzere Arbeitszeiten überhaupt in allen Branchen möglich sind und ob die Arbeit einfach auf neue Mitarbeiter umverteilt werden könnte.

Der Kompromiss

Im Prinzip liegt der Kompromiss auf der Hand: weniger Arbeit bei weniger Gehalt. So werden die Vorteile des kürzeren Arbeitstags ausgereizt, während seine Nachteile an Bedeutung verlieren. Denn die Kosten steigen so deutlich geringer an und der Druck auf die Arbeitnehmer entfällt. Dafür profitieren Unternehmen von konzentrierten, leistungsfähigen, ausgeglichenen und gesunden Mitarbeitern, einem starken „Employer Branding“ und einer positiven Arbeitskultur.

Dies kann sich günstig auf die Innovationsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Marke auswirken. Der Onlineversandhändler Amazon testet genau dieses Modell in einem Pilot-Projekt, in welchem das Unternehmen reine Teilzeit-Teams einführt. Diese arbeiten 30 Stunden pro Woche für 75% des Vollzeitgehalts (Spiegel Online, 2016). Ein reduzierter Arbeitsplan kann tatsächlich ein geeigneter Kompromiss sein, denn wie bereits eben erläutert: Die Stundenproduktivität eines 30-Stunden-Teams wird bei gleichbleibenden Kosten wohl höher sein, außerdem winken geringere Fehlerquoten und Fehlzeiten.

Es geht, zeigen inovex, Tandemploy und Deutsche Telekom

Ein weiteres Praxisbeispiel für verkürzte Arbeitszeiten ist das IT-Projekthaus inovex aus Pforzheim. Hier können Mitarbeiter individuell ihre Wochenarbeitszeiten anpassen. Viele Mitarbeiter haben auf 32, andere auf 36 Stunden reduziert. Kernarbeitszeiten gibt es nicht, jeder Mitarbeiter entscheidet für sich selbst, wann er am leistungsfähigsten und produktivsten ist (Kununu, 2016). Eine andere Herangehensweise: Job-Sharing, beziehungsweise Top-Sharing, also das Teilen einer Vollzeitstelle in zwei gleich- oder ungleich verteilte Stellen.

Die Job-Sharing-Firma Tandemploy aus Berlin macht vor, wie das in der Realität umgesetzt werden kann. So denkt die Organisation nicht mehr in festen Stellen, sondern in Bereichen und Budgets; dies erlaubt eine freiere und flexiblere Sicht auf Arbeitszeiten und auf Aufgabenmanagement. So kreierte das Unternehmen ein agiles, aber dennoch verbindliches Arbeitssystem ohne Vollzeitstellen, welches als Vorbild für Konzerne fungieren kann (Tepe, 2016). Tatsächlich sind solche Tandem-Systeme in der Konzernwelt die große Ausnahme. Dennoch zeigen Beispiele der Deutschen Telekom sowie von Bosch und IBM, dass Top-Sharing, also das Teilen einer Führungsposition, durchaus erfolgreich funktionieren kann. In der Tat ergeben sich durch Rollenteilung Synergieeffekte, eine höhere Kreativität und Stärkenfokussierung, die die Mehrkosten einer solchen Doppelstelle durchaus aufwiegen können (Fiene, 2015).

Das zeigt auch: Ein gleichbleibendes Gehalt, wie im Falle der schwedischen Unternehmen, ist kein Muss bei einer Arbeitsreduktion. Vielmehr streben Menschen, gerade die Generation Y, selbst nach einer besseren Work-Life-Balance und verzichten dafür freiwillig auf Gehalt. Die optimale Lösung ist also vielleicht gar nicht so radikal: Bieten Sie Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten individuell anzupassen und ihre Rollen selbst zu interpretieren und zu gestalten, ermöglichen Sie „Home-Office“-Tage und vermeiden Sie, soweit möglich, lange Kernarbeitszeiten. Reflektieren Sie außerdem die Vor- und Nachteile von Job-Sharing für Ihre Firma und denken Sie weniger in Stellen als in Rollen, Bereichen und Budgets.

Es bedarf agiler Prozesse (u.a. kurze, effektive Meetings, konsultative Einzelentscheide, Aufbau dynamischer Funktionen) und adaptiver Strukturen (u.a. starke und flexible IT-Basis, geringe Bürokratie, Förderung von Selbstführung), um trotz kürzerer Arbeitszeiten weiterhin wachsen zu können. So ist der Schritt in Richtung kürzerer individueller Arbeitszeiten auch ein Schritt in Richtung Gesunder Organisation. Befreien Sie sich vom Mantra der 40-Stunden Woche und denken Sie offen und systemisch über die Möglichkeiten und Chancen eines verkürzten Arbeitstages nach. Es macht keinen Sinn, sich aus Gewohnheit oder Angst vor Neuem an alte Prinzipien zu klammern.

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