Die Brisanz des „Change Managements“ lässt sich mit der Metapher einer Operation am offenen Herzen gut verdeutlichen. So ist es wenig verwunderlich, dass Chefs und ganze Führungsteams angesichts der Dimension der Führungsaufgaben in Veränderungsprozessen Merkmale von Unsicherheit und Überforderung zeigen, weil sie den „Change“ parallel zum laufenden Tagesgeschäft stemmen müssen.
Das „Change House“-Modell greife ich aus dem Werkzeugkasten des „Change Managements“ gern heraus, da es dem Bedürfnis von Führungskräften nach brauchbaren Lösungen entgegen kommt. Der Anwender versteht das Führungsinstrument auf Anhieb. Es ist einfach konstruiert, intuitiv und braucht deshalb keinen zeitraubenden Einarbeitungsprozess.
Die Botschaften des Modells an die Führungskräfte
Die vier in der Abbildung dargestellten Zimmer bilden die emotionalen Stadien von Menschen ab, die sie während einer Veränderung typischerweise erleben. Die Zimmer werden nacheinander durchlaufen, beginnend vom oberen linken „Zimmer der Selbstzufriedenheit“ über die „Zimmer der Verweigerung“ und „Verwirrung“, um letztlich das eigentlich angepeilte „Zimmer der Erneuerung“ zu erreichen. Die kleinen Anbauten mit den bezeichnenden Namen „Sonnenbalkon“, „Verweigerungsverlies“, „Paralyseloch“ und der „falsche Ausgang“, zeigen mögliche extreme Ausprägungen des Verhaltens von Menschen im Veränderungsprozess.
Die erste Botschaft an Führungskräfte lautet: Unternehmen, die Veränderungen einleiten, müssen den Umweg durch die ersten drei Zimmer gehen. Dann erst gelangt ihr Change Prozess in die Erneuerung. Aber: nicht alle Unternehmen sind dabei schnell genug. Erfolgreiche Unternehmen bewegen sich zügig durch die drei Zimmer und kommen schnell in der Erneuerung an. Weniger erfolgreiche Unternehmen brauchen dafür vergleichsweise lange. Bei schlechter Führung können Veränderungsprozesse auch gänzlich scheitern. Das Zimmer der Erneuerung wird nie erreicht, weil die Veränderung in einem der kleinen Zimmer „stirbt“.
Die zweite Botschaft: Es gibt ein „natürliches Friktionspotential“, d.h. die aufgezeigten Hemmfaktoren sind selbst bei bestem „Change Management“ nicht vermeidbar. Aber professionelle Führungskräfte können dazu beitragen, Reibungspunkte auf das unvermeidbare Niveau zu minimieren.
Abbildung: Das „Change House“-Modell
Botschaft drei: Manche Manager sorgen mit unprofessioneller Führung für ein Ausmaß an Friktionen, welches deutlich über dem natürlichen Niveau liegt. Es zeigen sich die typischen Phänomene von „Change Prozessen“. Mitarbeiter kommentieren das Führungsverhalten zuweilen offen oder hinter vorgehaltener Hand sarkastisch und richten ihr Verhalten entsprechend aus. Das Aufheizen der Gerüchteküche und gereizte Bemerkungen der Mitarbeiter, die z.B. von „Schwarzen Löchern“ oder „wieder eine Freiflugphase“ sprechen, prägen die disharmonische und scheinbar unvermeidliche Begleitmusik von schlecht geführten Veränderungsprozessen.
Worauf sollten sich Führungskräfte im „Change Prozess“ einstellen?
Menschen, die sich im Zimmer der Selbstzufriedenheit befinden, sind mit der aktuellen Situation zufrieden und sehen keinen Grund für die Notwendigkeit von Veränderung. Den Veränderungen in der Außenwelt schenken sie wenig Aufmerksamkeit, denn das allgemeine Gefühl, alles gut und richtig zu machen, ist im Unternehmen verbreitet. „Unser Geschäft läuft doch gut“ und „Wir machen das seit Jahren so, warum jetzt auf einmal diese Änderung?“ sind typische Aussagen. Tummeln sich zu viele Organisationsmitglieder auf dem Sonnenbalkon, dann kann der Zeitpunkt für Veränderung sogar ganz verpasst werden.
Im Zimmer der Verweigerung zeigen Menschen Skepsis, innere Ablehnung bis hin zum offenen Widerstand gegenüber der Veränderung. „Muss das sein?“, „Nicht mit mir!“ oder „zuerst sollen die Anderen mit der Veränderung beginnen“ sind Erkennungsmerkmale für die Führungskraft. Gereiztes oder aggressives Verhalten von Mitarbeitern ist gehäuft zu beobachten.
An Äußerungen wie „Jeder sagt etwas anderes“ oder „Von denen ‚da oben‘ kann mir keiner sagen, wo es lang geht!“ erkennt die Führungskraft, dass Mitarbeiter im Zimmer der Verwirrung angekommen sind. Mitarbeiter verlieren die Orientierung, sind frustriert oder verärgert.
In diesen kritischen, der angestrebten Erneuerung vorgelagerten Stadien, hat unprofessionelles Führungsverhalten fatale Wirkungen, weil auf es die ohnehin unvermeidbaren Friktionen weitere draufsattelt. Mitarbeiter werden in das Verweigerungsverlies getrieben, verunsicherte Mitarbeiter erstarren im Paralyseloch. Übersteigen Führungschaos und Richtungslosigkeit einen gewissen Grad, dann verlassen Mitarbeiter – meist sind es die Besten – das Unternehmen durch den falschen Ausgang.
Praktiker, die mit einschlägigen Change Erfahrungen gesegnet sind, ergänzen das Modell gern auch mit eigenen Kreationen. Sie sprechen vom Zimmer der Verzweiflung, oder vom Kamin, in dem sich Pläne, Absprachen und Zusagen der Führungskräfte in Rauch auflösen.
Welchen konkreten Nutzen bringt die Arbeit mit dem Modell
Das „Change House“ unterstützt die Prognose: „Was wird im Veränderungsprozess passieren?“. „Was wird auf mich und die Mitarbeiter zukommen?“ Die Anwendung des Werkzeugs ermöglicht es Initiatoren des „Changes“ und ihren Führungsteams, sich gemeinsam für die Führungsanforderungen im Veränderungsprozess zu sensibilisieren und einen einheitlichen Denkrahmen zu entwickeln. Die Abstimmung des Führungshandelns im Sinne von „Wenn … dann … Beziehungen“ wird vorbereitet. Beispiel: „Wenn wir die Kommunikation über den „Change Prozess“ nicht koordiniert bekommen, dann schicken wir unsere Mitarbeiter in das Zimmer der Verweigerung, manche sogar in das Verweigerungsverlies.“
Zur Entstehung des „Change House“-Modells
Das Modell geht auf die psychologische Theorie von Claes F. Janssen zurück. In seinen Ausführungen über die „Four Rooms of Change“ (1996) erklärt er den Weg, den Menschen typischerweise durchlaufen, wenn sie mit Veränderung konfrontiert werden. Die „Four Rooms of Change“ wurden von Janssen ursprünglich für die therapeutische Beratung entwickelt.
Paul Kirkbride, Inhaber des von 1989 – 2002 bestehenden „Change House“ in Reading, GB, entwickelte mit Kollegen der Ashridge Business School Janssens Ansatz unter dem Namen „The Change House“ zur Anwendung im Management weiter. Sie lenkten den Fokus vom Individuum auf das Zusammenspiel von Mitarbeitern, Führungskräften und der Organisation als Ganzes. In ihrer Arbeit erweitern sie die vier Zimmer um ihre extremen Ausprägungen.
Das Change House-Modell ist auch unter Bezeichnungen wie „House of Change“, „Haus des Wandels“ und „Haus der Veränderung“ bekannt.
Mit der Diagnosefunktion unterstützt es die Vorgesetzten dabei, sich ein differenziertes Bild von der jeweiligen Lage zu machen: „Welcher Mitarbeiter befindet sich in welchem Zimmer?“ „Welche Teams sind schon in der Verwirrung, welche befinden sich noch in der Selbstzufriedenheit?“ Der Vorgesetzte versteht die Situation seiner Mitarbeiter besser. Auf der Basis dieses Verständnisses kann er seine Erwartungshaltung passgenau auf die Situation abstimmen, in denen sich seine Mitarbeiter gerade befinden. Durch ein realistisches Erwartungsmanagement beugt er der Überforderung von Mitarbeitern vor und kann sein Führungshandeln situativ anpassen. Das Modell gibt dem Vorgesetzten somit wertvolle Hinweise, die er bei der Auswahl spezifischer, situativ anzupassender Führungsmaßnahmen berücksichtigt.
Das Modell erfüllt schließlich die Funktion der Entscheidungsunterstützung: „Welches Führungsinstrument hilft, wenn ich auf Selbstzufriedenheit, auf Verweigerung oder auf Verwirrung treffe?“ Damit zeigt es Führungskräften Wege auf, wie sie durch konstruktive und wertschätzende Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern die Veränderung effektiv anstoßen, vorantreiben und letztlich die Erfolgsaussichten der Veränderung erhöhen können.
Bei konsequenter Orientierung an dem Modell bekommt der Führende den Schlüssel zur effektiven Erfüllung seiner Führungsaufgaben in die Hand. Er entwickelt ein gutes Gespür für Maßnahmen, mit denen er seine Mitarbeiter vor, während und nach der Veränderung bestmöglich unterstützt und begleitet.
Warum ist das Werkzeug für die Führungskraft so attraktiv?
Der Anwender findet sich schnell in die Grundaussagen des Modells ein, weil dieses die auftretende Emotionalität bei Menschen in Veränderungen offensichtlich so zutreffend spiegelt, dass sich die Führungskraft unmittelbar in ihrer Führungspraxis wiederfindet.
- Das Modell hilft, sich intuitiv auf die zu erwartende psychologische Dynamik mit ihren Friktionen im Veränderungsprozess einzustellen. Um das Modell als Führungswerkzeug zu verstehen, braucht es keinen aufwändigen Lernprozess, weil der Anwender direkt auf seine eigenen Erfahrungen zurück greift.
- Wegen seiner einfachen Konstruktion ermöglicht es Führungsteams, zügig zu einem gemeinsamen Verständnis von den Herausforderungen eines Veränderungsprozesses zu finden. Es unterstützt die Chefs dabei, gut abgestimmte Maßnahmen zur Führung ihrer Mitarbeiter zu verabreden. Somit stößt das Modell schnell auf Akzeptanz, die bei der Anwendung von theoretisch fundierten Managementkonzepten in Praxis nicht selten auf der Strecke bleibt.