Wenn eine neue Arbeitsumgebung eingeführt wird, ist die Unternehmensleitung der Belegschaft gedanklich oft mehrere Schritte voraus. Sie verfolgt durch die Neugestaltung der Büroflächen oftmals das Ziel, kreativer, kollaborativer und agiler zu arbeiten, aber die Mitarbeitenden können sich (noch) nicht vorstellen, was es bedeutet, ihren Arbeitsalltag im „New Normal“ zu verbringen. Einfach auf den Punkt gebracht: Die schönsten und modernsten Büroräume sind sinnfrei, wenn Ihre Mitarbeitenden mit neuen Arbeitsweisen, Teamzusammensetzungen und Zusammenarbeitsformen nicht umgehen können. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist es daher unabdingbar, sich mit den häufigsten Herausforderungen auseinanderzusetzen, mit denen sich Unternehmen in diesem Zusammenhang konfrontiert sehen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Herausforderungen neue Arbeitswelten
Herausforderung 1: (Fehlende) Mobilität der Mitarbeitenden im Büro
Der Klassiker schlechthin: Es gibt keine festen Arbeitsplätze mehr und viele Möglichkeiten, die Arbeitsumgebung je nach Aktivität zu wechseln – trotzdem sitzen die Mitarbeitenden jeden Tag auf ihrem „Lieblingsplatz“ und weigern sich, diesen zu verlassen bzw. die veränderten Verhältnisse anzunehmen. Genau hier kommt das Konzept des aktivitätsbasierten Arbeitens (Activity-based Working, ABW) zum Tragen. Das bedeutet vereinfacht: Jede(r) Arbeitnehmende sucht sich einen zur Aufgabe passenden Arbeitsplatz. Mitarbeitende sollen jede Aufgabe in einer dafür optimal passenden Arbeitszone erledigen können. Und da es vielfältige Aufgaben und Arbeitsprozesse gibt, bedarf es unterschiedliche Zonen. Das steigert die Produktivität erheblich (Bünz, 2020), setzt allerdings das entsprechende Bewusstsein bei der Belegschaft voraus.
Ziel muss es also sein, das Bewusstsein darüber zu schärfen, welchen positiven Einfluss die Mobilität sowie die Nutzung unterschiedlicher Arbeitsplätze für unterschiedliche Tätigkeiten im Laufe eines Arbeitstages hat. Trainieren Sie bewusst die Sensibilität Ihrer Mitarbeitenden, Aktivitäten voneinander zu unterscheiden und den mit dem Ortswechsel verbundenen Aufwand richtig einzuschätzen. Ein wichtiger Punkt ist dabei die Selbstorganisation und -steuerung. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollten hierzu folgende Frage reflektieren: Wie kann ich mich für meine Arbeitszeit gut strukturieren und meine Themen so planen, dass ich für unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte unterschiedliche Arbeitsorte nutze und dafür mobil bin?
Herausforderung 2: Vereinbarung von Spielregeln und Feedback
Vor allem in Veränderungsprozessen kommt der Etablierung einer Feedback- und Fehlerkultur eine besonders tragende Bedeutung zu. Vermitteln Sie Haltung und Methoden von Feedback mit folgenden thematischen Schwerpunkten:
- Feedback versus persönliche Kritik
- Unterschiedliche Feedbackarten
- Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch und individuelle Bedürfnisse
- Prinzipien für gelingendes Feedback
- Verantwortungskultur und psychologische Sicherheit (siehe Herausforderung 3) schaffen
Gestalten Sie sichere Übungsräume für das Geben und Nehmen von situationsbezogenem Feedback. Es geht hier darum, vermeintlich banale Dinge anzusprechen, die jedoch den Arbeitsprozess erheblich stören können. Zum Beispiel: Wie äußere ich Kritik, wenn mein Kollege unpassende Aktivitäten (und/oder in unpassender Lautstärke) neben mir ausführt?
Je nachdem wie Sie Ihre Feedbackkultur wahrnehmen, kann es auch sinnvoll sein, diese als Ganzes zu reflektieren: Wie können wir uns als Organisation(-seinheit) weiterentwickeln und zu einer lernenden Organisation werden, indem wir eine Feedback- und Verantwortungskultur in unserem Unternehmen entwickeln?
Definieren Sie außerdem Spielregeln zur Zusammenarbeit. Folgende Aspekte sollten Sie in diesem Zusammenhang berücksichtigen:
- Reflexion der Bedürfnisse der Mitarbeitenden: Welche Themen mit Klärungsbedarf gibt es?
- Reflexion der strategischenZiele des Unternehmens für die Fläche:
- Was möchte das Unternehmen erreichen?
- Wie können die Ziele durch die Definition von geeigneten Prinzipien unterstützt werden?
- Erarbeitung von Prinzipien der Zusammenarbeit,
- die für alle gelten und/oder
- die nur für einzelne Teams/Abteilungen
Herausforderung 3: Wunsch nach Privatheit und Diskretion
Die Auflösung der gewohnten Büroräume führt oftmals zu Vorbehalten, z.B. „Mein Bildschirm ist für alle komplett einsehbar“ oder „Ich kann keine privaten Telefonate mehr führen, weil mir plötzlich alle dabei zuhören“. Für solche Sorgen und Bedenken – die Sie durchaus ernst nehmen sollten – braucht es eine Definition der neuen Norm: Was ist okay und wie kann man das in der Organisation vermitteln?
Eine offene und von Vertrauen geprägte Arbeitsatmosphäre ist wichtig, damit Ihre Mitarbeitenden sich trauen, ihre Befürchtungen im Hinblick auf den Verlust von Privatheit und Diskretion auszusprechen. Nur dann können Sie gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Machen Sie sich mit dem Konzept der psychologischen Sicherheit vertraut und finden Sie darauf aufbauend Lösungen, wie Sie in Ihrem Unternehmen und in Ihrem Team mit Unsicherheit und Ängsten umgehen können. Psychologische Sicherheit meint das Ausmaß der Sicherheit, die Mitglieder eines Teams empfinden, (unangenehme) Wahrheiten anzusprechen, Fehler zuzugeben und untereinander Unsicherheit und Verletzlichkeit zu zeigen. Psychologische Sicherheit hat drei Aspekte:
- Verletzlichkeit zeigen
- Vertrauen schenken
- Verantwortung übernehmen
Abbildung 2: Die drei Komponenten psychologischer Sicherheit
Ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit in Ihrem Team hilft Ihnen, Ihre neue Arbeitsumgebung erfolgreich umzusetzen. Um Privatheit und Diskretion zu gewährleisten, ist es – auf ganz pragmatischer Ebene – wichtig, das Bewusstsein dafür zu schärfen, welche Gespräche oder Inhalte wirklich vertraulich sind und welche nicht. Schaffen Sie selbstverständlich auch Klarheit darüber, wie mit wirklich vertraulichen Inhalten umgegangen werden muss. Für Fälle der wirklichen Vertraulichkeit, sind entsprechenden Arbeitszonen essenziell.
Herausforderung 4: Angst vor Veränderung
Angst vor etwas Neuem oder unbekannten Situationen ist menschlich. Um Ängste und Unsicherheiten Ihrer Mitarbeitenden im Zusammenhang mit der neuen Arbeitsumgebung besser zu verstehen, darauf zu reagieren und vor allem auch vorbeugend zu agieren, können Sie sich das SCARF-Modell (Rock, 2008) zunutze machen. Das Modell versucht zu erklären, warum wir in bestimmten Situationen objektiv betrachtet unlogisch oder übertrieben reagieren.
SCARF ist ein Akronym und bedeutet:
- Status (Ansehen)
- Certainty (Sicherheit, Gewissheit)
- Autonomy (Autonomie)
- Relatedness (Zusammengehörigkeit)
- Fairness (Gerechtigkeit)
Abbildung 3: SCARF-Modell (Rock, 2008)
Das Modell nimmt an, dass das menschliche Gehirn neue Informationen und Ereignisse sofort anhand der fünf SCARF-Faktoren prüft und einordnet. Was bedeutet das konkret für Sie und die Umsetzung Ihres New Work Konzepts in der Organisation? Alle Aspekte, die im Hinblick auf SCARF als negativ erlebt werden, sollen nach Möglichkeit minimiert werden. Die positiv erlebten Aspekte hingegen sollen maximiert werden. Dann fühlen sich Ihre Mitarbeitenden im Arbeitskontext motiviert und sicher. Mit Hilfe des SCARF-Modells lassen sich Reaktionen, die auf den ersten Blick unlogisch oder irrational erscheinen, begründen und verstehen. Dies ermöglicht Ihnen als Führungskraft vorausschauend mit dem Team zu interagieren,Konflikte zu lösen sowie konstruktiv und auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Herausforderung 5: Verteilung der Hierarchie im Raum
Für viele Mitarbeitende ist es ungewohnt, mit dem Chef oder der Chefin in einem Raum zu sitzen. Das Gefühl ständig unter Beobachtung und Beurteilung zu stehen, kann eine produktive Arbeitsleistung hemmen. Für Führungskräfte bedeutet das: Die Ausübung der Führungsrolle in offenen Raumkonzepten will gelernt sein.
Folgende Schwerpunkte sollten Sie hierbei berücksichtigen:
- Seien Sie sich Ihrer Rolle als Vorbild Reflektieren Sie Ihren Führungsstil und Ihr Rollenverständnis. Passen Sie Ihr Verhalten ggf. an die neuen Rahmenbedingungen an. Lernen Sie von und mit anderen Führungskräften und unterstützen Sie sich gegenseitig.
- Prüfen Sie – wenn vorhanden – das Führungsleitbild hinsichtlich dessen Relevanz und Wirkung im Raum und konkretisieren Sie dieses nach Bedarf. Falls es in Ihrem Unternehmen noch kein Führungsleitbild gibt: Entwickeln Sie dieses in Bezug auf die Rolle der Führung im neuen Raum sowie in Bezug auf strategische Ziele des Unternehmens für den neuen Raum: Was möchte das Unternehmen erreichen? Welche Rolle als Führungskraft spielen Sie darin? Wie lässt sich dies auf den Raum übertragen?
- Entwickeln Sie Führungsrituale, die zur neuen Arbeitsumgebung und zu den neuen Arbeitsweisen passen.
Herausforderung 6: Umgang mit persönlichem Stauraum
Welche Rolle spielen Papier und weitere Materialien – persönlich oder nicht – auf der neuen Arbeitsfläche? Erhöhen Sie die Mobilität Ihrer Mitarbeitenden, indem Sie die Nutzung von digitalen Medien erhöhen. Um die entsprechende Bereitschaft zu erzeugen, sollten Sie auch Zeit investieren, um den Sinn von Mobilität auf der Fläche klarzumachen (siehe Herausforderung 1). Bei der Reduzierung von Material kann die 5S-Methode hilfreich sein. Diese besteht aus insgesamt fünf Schritten:
- Sortieren (Aussortieren)
- Systematisieren (Anordnen)
- Säubern (Arbeitsplatz säubern)
- Standardisieren (Arbeitsstandard definieren)
- Selbstdisziplin (Alles erhalten und optimieren)
Abbildung 4: 5S-Methode
Führen Sie die Methode ein und helfen Sie so Ihren Mitarbeitenden herauszufinden, was sie WIRKLICH brauchen. Man ist oft selbst überrascht, wie viele „unnötige“ Unterlagen und Dinge sich mit der Zeit in Schubladen oder Laptop Taschen ansammeln. Kombinieren Sie Arbeitsmodi und Material mit passenden Arbeitsorten als Grundlage für die ideale Definition von zukünftigen Arbeitsorten. Legen Sie außerdem fest, welches Material gemeinschaftlich genutzt werden kann – im eigenen Team, aber auch gemeinsam mit anderen Teams. So kann es z.B. einen zentralen Ort für die Aufbewahrung von Büromaterial geben, der für alle Mitarbeitenden frei zugänglich ist.
Herausforderung 7: Verlust von Heimat
Wenn der Schreibtisch keine Heimat mehr ist, wie kann ein Team sich eine Heimat geben? Oder anders gefragt: Wie kann eine gemeinsame Identität entwickelt und erhalten werden? Identität entsteht über Verbundenheit der Menschen zueinander und durch Vertrauen. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Team die Gelegenheit hat, regelmäßig in Kontakt zu kommen. Und geben Sie Ihrem Team den entsprechenden Freiraum, damit sich durch die Zusammenarbeit unter Kollegen und Kolleginnen Vertrauen entwickeln kann. Der Arbeitsplatz der Zukunft ist auch immer eine Begegnungsstätte für Austausch, Kooperation und gemeinsame Kreativität.
Beachten Sie bei der Neugestaltung der Arbeitsfläche, dass sinnvolle „Nachbarschaften“ entstehen – das heißt: Kolleginnen und Kollegen, die im Arbeitsalltag viele Schnittstellen haben oder an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, befinden sich in Nähe zueinander. Und manchmal stellt sich auch die Kaffeemaschine als unersetzbare Kommunikationsplattform dar.
Fazit
Die Herausforderungen neuer Arbeitswelten sind vielfältig und hängen von den spezifischen Veränderungen ab, die in einer bestimmten Branche oder Organisation stattfinden. Es lassen sich jedoch einige allgemein gültige Herausforderungen identifizieren, mit denen sich die meisten Unternehmen konfrontiert sehen. Wer diese kennt und weiß, wie er damit umgehen kann, ist klar im Vorteil!
Ist Ihr Arbeitsplatz optimal auf die Anforderungen Ihrer Organisation abgestimmt? Wir bei REFLECT stehen Ihnen zur Seite, um einen genauen Blick auf Ihre Situation zu werfen, möglichen Handlungsbedarf an den richtigen Stellen zu erkennen und differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse erarbeiten wir praktikable und umsetzbare Lösungsansätze. Wir unterstützen Sie auf diesem Weg!
Quellen
Bünz, S. (2020). Produktiver durch Activity Based Working. https://so-arbeiten-wir-morgen.de/produktiver-durch-activity-based-working/
Rock, D. (2008). SCARF: A brain-based model for collaborating with and influencing others. Neuroleadership Journal, 1, 1–9.
https://www.business-wissen.de/artikel/scarf-modell-wie-neuroleadership-praktisch-funktioniert
https://www.designfunktion.de/blog/activity-based-working
https://www.it-agile.de/agiles-wissen/agile-teams/was-ist-psychologische-sicherheit
https://karrierebibel.de/5s-methode
Bildquellen
Tateisi, Jukan (2017) https://unsplash.com/de/fotos/bJhT_8nbUA0