Agile Leadership – Teil 2
Im ersten Teil unserer Serie zu Agile Leadership setzten wir uns damit auseinander, warum es sogenannte Agile Leaders braucht und welche Kompetenzen diese auszeichnen. Und wir erläuterten, warum Bescheidenheit eine der 4 Kernkompetenzen agiler Führungskräfte ist. In dieser Notiz nun wollen wir eine weitere der Kompetenzen genauer unter die Lupe nehmen: Anpassungsfähigkeit.
Führungskräfte in einer agilen Organisation müssen anpassungsfähig sein? Das klingt erst mal wenig überraschend und eher nach den „50 Cents“ für‘ s Phrasenschwein. Aber: Was heißt es denn tatsächlich und konkret, als Führungskraft anpassungsfähig zu sein? Gar nicht so leicht zu beantworten.
Häufige Missverständnisse bezüglich Agilität und Anpassungsfähigkeit
Denn in vielen Unternehmen herrscht kein echtes Verständnis, wie agiles Verhalten eigentlich aussieht und sich anfühlt. Daher werden oftmals Verhaltensweisen als agil bezeichnet, die nicht wirklich anpassungsfähiges Handeln beschreiben. Kommen Ihnen diese oder ähnliche Aussagen bekannt vor?
- „Unsere Chefin entscheidet immer sehr spontan. Wie agil von ihr!“
„Unser Product Owner schaut sich erstmal alle Informationen ganz genau an, bis er 100% sicher ist, bevor er eine Entscheidung trifft. Das entspricht dem agilen Prinzip „Empirie“. Total agil von ihm!“
„Meine Kollegin entscheidet sich ständig um. Aber: so flexibel muss man schon sein in einer VUCA-Welt! Echt agil eben!“
Als Veränderungsbegleiter wird einem bei diesen Aussagen etwas schwummrig. Verbreiten sich solche Assoziationen zu Agilität im Unternehmen, wird es schwer, in einer agilen Transformation einen ernsthaften Dialog über die wirkliche Bedeutung von Agilität zu entwickeln.
Daher: Missverständnisse immer sofort ansprechen. Auch wenn sie diese selbst nicht immer gleich richtigstellen können – sprechen sie die Kolleg*innen zumindest mit dem Hinweis an: „Du, das was du da gerade beschreibst, ist nicht wirklich agil, glaube ich. Es ist eher spontan/willkürlich/vorschnell. Wir sollten drauf achten, nicht immer alles als agil zu bezeichnen, sonst verschwimmt alles miteinander.“
Eine Hilfestellung, um echte Anpassungsfähigkeit und agile Führungskräfte zu erkennen
Basierend auf den vielen, vielen Missverständnissen, denen wir im Alltag begegnen, haben wir eine Logik entwickelt, nach der Sie in Ihrer Organisation prüfen können, ob Ihre Kolleg*innen und Führungskräfte insbesondere in deren Entscheidungsverhalten anpassungsfähig sind oder eben doch „nur“ spontan. Am besten lässt sich dies am Entscheidungsverhalten beobachten. Hier achten wir auf 2 Faktoren:
1. Entscheidungsgeschwindigkeit
Entscheiden Menschen schnell oder langsam? Auf wieviel Sicherheit warten sie, bevor sie eine Entscheidung treffen? Werden Vorschläge und Empfehlungen schnell und eindeutig beantwortet? Wird bei wichtigen neuen Informationen (sogenannten „game-changing Informationen“) schnell umentschieden?
2. EntscheidungsgrundlageEntscheiden Menschen auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten oder eher aus dem Bauch heraus? Werden Vorschläge und Empfehlungen anhand nachvollziehbarer Kriterien bewertet oder eher nach persönlichem Gusto? Werden Entscheidungen begründet oder nur verkündet?
Aus der Betrachtung dieser beiden Faktoren ergibt sich eine einfache Matrix, die Sie gerne nutzen können, um in Ihrem Unternehmen investigativ tätig zu werden und Ihre Agile Leaders zu finden:
Anpassungsfähigkeit dank schneller, evidenzbasierter Entscheidungen
Die Matrix zeigt: Agile Führungskräfte entscheiden schnell und evidenzbasiert, um anpassungsfähig zu bleiben. Dabei helfen ihnen vor allem zwei Haltungen:
1. “Good enough for now, safe enough to try”
Ganz entsprechend dieses soziokratischen Prinzips wissen agile Führungskräfte, dass sie bei den meisten Entscheidungsbedarfen nicht 100% der Informationen haben werden, die für eine Entscheidungsfindung hilfreich wären. Sie geben sich daher mit weniger Informationsfülle zufrieden, und treffen ihre Entscheidungen auf Basis der wichtigsten verfügbaren Informationen. Das beschleunigt die Entscheidungsfindung enorm.
Mitarbeiter*innen können ihren Führungskräften helfen, dieses schnellere Entscheidungsverhalten einzuüben, indem sie Entscheidungsbedarfe pragmatisch-strukturiert aufbereiten (z.B. Situation, Komplikation, Lösung; oder Optionenlogik mit begründeter Empfehlung) und gute Antworten auf die wichtigsten Fragen parat haben.
So können Führungskräfte gezielt nach potenziellen Schwachstellen fragen – und bei zufriedenstellenden Antworten auf die Fragen eine schnelle Entscheidung treffen („Habe ich einen gut begründeten schwerwiegenden Einwand? Falls nicht, machen wir’s so, wie meine Mitarbeiter*innen empfehlen.“).
2. Fokus auf „game-changing“ Informationen
Agile Leaders sind nicht zaudernd, wankelmütig oder impulsiv – auch weil sie ihre Entscheidungen nicht dauernd hinterfragen, sondern nur dann, wenn wirklich wichtige neue Informationen auftauchen, sogenannte „game-changing“ Informationen.
Agile Führungskräfte fragen also: „Verändert diese neue Information grundlegend die Prämissen, auf deren Basis wir unsere Entscheidung getroffen haben?“
Diese Haltung ist veränderungsrobust – sie erkennt und akzeptiert Veränderungen, berücksichtigt wichtige Veränderungen schnell, lässt sich aber auch nicht durch jede neue Information verunsichern.
Übrigens: Eine Meinung ist keine Information. Wenn wir hier von Information sprechen, meinen wir Fakten. Denn agile Führungskräfte entscheiden möglichst evidenzbasiert.
Fazit
„Agile Leaders“ sind – genau wie agile Organisationen – anpassungsfähig. Das bedeutet, grundsätzlich offen zu sein, die eigene Meinung auf Basis wichtiger neuer Informationen zu verändern und im Falle auch eigene Entscheidungen und Haltungen zu verändern. Und dies als Stärke zu verstehen und nicht als Schwäche.
Besonders gut lässt sich Anpassungsfähigkeit aus einem konkreten Entscheidungsverhalten ablesen. Je schneller und faktenbasierter Entscheidungen getroffen werden, desto anpassungsfähiger ist eine Führungskraft.
Unser Impuls an Sie: Achten Sie in Ihrem Unternehmen darauf, ob Führungskräfte durch ihr Entscheidungsverhalten eher zu Flaschenhälsen oder zu Katalysatoren werden. Sind sie „Flaschenhälse“, so liegt das meist an einem zu hohen Sicherheitsbedürfnis, an schlechter Entscheidungsvorbereitung oder an zu wenig pragmatischen Entscheidungsmodi (z.B. langsamer Konsens: „Alle müssen zustimmen“ statt schneller Konsent: „Keiner darf einen schwerwiegenden Einwand haben“). Sind sie Katalysatoren, so praktizieren sie vermutlich eine oder mehrere der Verhaltensweisen, die wir in dieser Notiz skizziert haben.
Erkennen Sie diese Verhaltensweisen und tragen Sie sie weiter. Denn einer der größten Hebel für eine agile Organisation sind anpassungsfähige Führungskräfte.
Quellen
Neubauer, Tarling, Wade (2017) Redefining Leadership for a Digital Age. IMD International Institute for Management Development und metaBeratung GmbH