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Gesunde Organisation – Das gläserne Unternehmen

„Wieviel verdient mein Kollege Michael oder meine Chefin Agniesca vermutlich? Auf jeden Fall mehr, als er/sie es verdient hätte. Stattdessen sollten sie es lieber Christopher geben, der hat sich dieses Jahr so richtig ins Zeug gelegt…“ Wer hätte nicht schon mal ähnliche Gedanken gehabt. Wäre es deshalb nicht wunderbar entspannt, wenn jeder wüsste, was der andere verdient und die Gehälter anhand klarer objektiver Indikatoren nachvollziehbar wären? Schweden lebt das ja seit vielen Jahren recht unaufgeregt vor. Gehaltstransparenz ist aber insbesondere in Deutschland ein delikates Thema. In dieser Notiz gehen wir darauf ein, warum Gehaltstransparenz kontrovers diskutiert wird, welche Vor- und Nachteile eine gläserne Lohnstruktur mit sich bringt und wie Sie als Verantwortliche in Ihrem Unternehmen ein faires, nachvollziehbares und leistungsförderndes Gehaltssystem implementieren können.

Finnische Extreme

Gegen Ende des Jahres passiert in Finnland etwas für Deutsche schier Unvorstellbares: Die Zeitungen veröffentlichen die neuesten Daten der Finnischen Steuerbehörde, offen und für jeden einsehbar. Die Steuerinformationen aller Menschen mit über 150.000€ Einkommen werden gelistet und viele der finnischen Topverdiener erhalten gar ein persönliches Profil, auf dem man Veränderungen im Einkommen nachverfolgen kann. So kann man in seiner Lokalzeitung zum Beispiel auch nachschauen, was eigentlich der Anwalt von nebenan genau verdient. Bei dieser Vorstellung klammern sich viele Deutsche an ihren Tisch, das Ganze klingt wie ein schlechter Scherz. Wo man doch hierzulande weiß, dass wenn man über Gehälter spricht, dann entweder hinter vorgehaltener Hand oder erst nach drei Glas Sekt auf der Betriebsweihnachtsfeier.

Und doch wollen wir sie doch andererseits alle: die Gehaltstransparenz. Denn wir alle wollen vor allem Eines: fair und gerecht behandelt werden…und natürlich am liebsten etwas mehr verdienen als alle anderen. Auch deshalb haben Gehaltsreports und Gehaltsvergleichsportale wie Glassdoor.com oder Gehaltsvergleich.com Hochkonjunktur. Die amerikanische Football Liga zum Beispiel praktiziert dies seit Jahren, alle Sportbegeisterten können sich hier die Gehälter der NFL Profis anschauen. Nun gut, die Gehälter der NFL und der Umgang mit ihren Arbeitnehmern spiegelt nicht wirklich den deutschen Unternehmensstandard wider. Dennoch liegen die Vorteile eines transparenten Gehaltssystems auf der Hand:

Vorteile von gläsernen Unternehmen

Familienministerin Manuela Schwesig forderte bereits letztes Jahr Firmen dazu auf, ihre Gehaltsgruppen offenzulegen. Damit bezweckte sie vor allem eines: Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen aufzuzeigen und zu deren Verminderung beizutragen (Zdrzalek, 2015). In der Tat ist das sogenannte Gender Pay Gap in Deutschland immer noch enorm: Laut Statistischem Bundesamt verdienen vollzeitbeschäftigte Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen über ein Fünftel weniger (Statistisches Bundesamt, 2016). Gehaltstransparenz könnte dazu beitragen, dass Unternehmen aktiver daran arbeiten müssen, die Lohnlücke zu schließen, um ihre Mitarbeiterinnen zufriedenzustellen und sich als starke Arbeitgeber für Frauen zu positionieren.

Bei einer weiteren Regulierung könnte Gehaltstransparenz helfen: Die oft kritisierten hohen Gehälter von Top-Managern, die in Deutschland ungefähr 50 Mal so viel verdienen wie ihre Mitarbeiter (Kaiser, 2013), würden möglicherweise stärker auffallen und das Management zur Selbstregulierung anhalten. Die Frage nach der angemessenen Höhe für die Bezahlung eines CEOs ist ein heikles Thema, doch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist der Meinung, dass die Lohnschere zwischen dem „normalen“ Arbeitnehmer und Top-Manager zu weit auseinanderklafft.

Die Vorteile von Gehaltstransparenz sind also klar. Eine transparente Lohnstruktur kann für größere Fairness sorgen, Lohnlücken schließen und Unternehmen zur Einführung eines konsequenteren und einsichtigeren Gehaltssystems bewegen.

Nachteile transparenter Gehälter

Doch selbstverständlich hat eine transparente Lohnstruktur auch ihre Kehrseite. Eine Studie aus Kalifornien (Card, Mas, Moretti, & Saez, 2012) bietet überraschende Einblicke in den Zusammenhang zwischen Gehalt und Jobzufriedenheit.  Die Forscher stellten fest, dass Mitarbeiter, die über ein Portal die Gehälter ihrer Kollegen überprüfen konnten und weniger als diese verdienten, auch weniger zufrieden waren und sich eher um eine neue Stelle bemühten. Demnach sinkt in einem Unternehmen mit transparenten Löhnen die Zufriedenheit der „Geringverdiener“. Die noch wichtigere Feststellung der Studie zeigt, dass die Einführung eines transparenten Systems auf Mehrverdiener keinerlei Einfluss hat. Mitarbeiter, die also wissentlich mehr verdienen als ihre Kollegen, sind nicht zufriedener. In der Tat war es den Studienteilnehmern eigentlich nur wichtig, zu erfahren, wieviel ihre Kollegen aus derselben Berufsgruppe verdienen. Menschen verankern die Wahrnehmung ihres Gehalts also im sozialen Vergleich mit unmittelbaren Kollegen. Daher sind Besserverdiener auch nicht zufriedener und Geringverdiener demgegenüber sehr viel unzufriedener, wenn transparente Gehälter eingeführt werden. Am Ende ist also nur das soziale System und die eigene Position darin entscheidend: Wieviel verdienen die anderen um mich herum? – Verdiene ich weniger, bin ich unzufrieden; verdiene ich mehr, ist das okay.

Individuelle Leistung lässt sich nicht fair messen

Eine weitere Hürde auf dem Weg zu transparenten Gehältern stellt die Messbarkeit von Leistung dar. Klar, wenn Firmen Löhne für jeden einsehbar machen, müssen sie auch eindeutige und nachvollziehbare Messkriterien anlegen. In einigen wenigen Bereichen ist dies vielleicht noch halbwegs möglich. Bspw. könnten Firmen anhand der Anzahl der Vertragsabschlüsse oder der hergestellten Produkte die Mitarbeiter objektiv entlohnen. Allerdings spiegelte ein solcher Indikator nur eine einseitige, quantitative Bewertung wieder. WIE diese Leistung erreicht wurde – kooperativ, Wissen weitergebend, Kunden betrügend etc. – würde in einem solchen Fall überhaupt nicht berücksichtigt werden. Im Zeitalter der Wissensgesellschaft, der Digitalisierung, der Dienstleistungswirtschaft, der Komplexität ist eine solche Messung schlicht unmöglich, die wechselseitigen Einflüsse sind einfach nicht fair bewertbar. Eindimensional nach Leistung zu bezahlen – Leistungslohn – macht deshalb keinen Sinn. Viele Unternehmen haben das noch immer nicht eingesehen und setzen weiterhin auf falsche Anreizsysteme. Diese sind an sich schon fatal genug, kämen dann noch transparente Gehälter hinzu, würde dies vermutlich die Unternehmenskultur an ihre Grenzen bringen. Will jeder nur noch das Gehalt des anderen überflügeln, um im sozialen Vergleich besser dazustehen, sind Sabotage und kontraproduktives Verhalten logische Folgen.

Zur Erreichung einer funktionierenden Gehaltstransparenz müssten demnach im Sinne der Organisationalen Gerechtigkeit grundlegend distributive und prozedurale Gerechtigkeit erreicht werden. Jeder würde das verdienen, was ihm zusteht und jeder würde verstehen, anhand welcher Kriterien das Gehalt bestimmt wird. Doch selbst in einem gerechten transparenten System, in dem man Leistung eindeutig messen kann, kann man die Entstehung von Neid und die Effekte des sozialen Vergleichs nicht einfach abstellen. Was also tun?

Ein balancierter Ansatz

Wie so oft, findet sich auch hier ein Mittelweg, der die Vorteile von Gehaltstransparenz nutzen kann, ohne den Nachteilen zum Opfer zu fallen. Zunächst ein möglicherweise offensichtlicher Hinweis: Der Miteinbezug von Kollegenbewertungen oder die Einführung eines 360-Grad-Feedback-Systems würden dazu beitragen, dass Leistung besser gemessen, und Gehälter fairer angepasst werden könnten. Bereits im August berichteten wir in unserer Notiz zur Digitalisierung im Personalwesen, dass kollegengesteuerte Belohnungssysteme und elektronische Kollegenbewertungen hilfreiche Tools sind, um relativ einfach Feedback zu erhalten und anhand dessen Boni und Gehälter zu bestimmen. Erhält man anonymisiertes konstruktives Feedback von Kontaktpersonen im Unternehmen und Kunden und erhält einen der Bewertung angepassten Bonus, so erscheint dies doch gleich deutlich fairer, als die Bonusvergabe nach Verteilungsschlüssel oder nach willkürlichen Indikatoren festzusetzen. Denn hier erhält man nicht einfach einen Bonus; man erhält klares Feedback von allen Seiten, welches einem Entwicklungspotenziale und Stärken aufzeigt und welches sich direkt im Gehalt widerspiegelt. Hierdurch würden Mitarbeiter auch dazu angehalten werden, Kunden- und Kollegenzufriedenheit in den Mittelpunkt zu stellen. Davon wiederum profitieren letztlich alle. Schließlich trägt ein solches System zur persönlichen Weiterentwicklung, zu einer kooperativen Unternehmenskultur und zum nachhaltigen Unternehmenserfolg bei.

Vorbild GoDaddy

Beim US-Unternehmen GoDaddy, so berichtet das Wall Street Journal (Weber, 2016), wurde monatelang an einem gerechteren Gehaltssystem gearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die HR-Manager bei GoDaddy analysierten alle Jobbeschreibungen und leiteten Gehaltslevel für jeden Berufstitel ab. Innerhalb jedes Gehaltslevels veranschlagten die Manager eine bestimmte Gehaltsspanne (z.B. Software-Entwickler Level 3; $101.000 – $165.000). Dies führte zunächst dazu, dass zu niedrige Gehälter automatisch an die neuen Level angepasst wurden. Innerhalb dieser Gehaltsspanne können Mitarbeiter dann in ihrer Rolle aufsteigen, gemessen anhand von Leistungsbewertungen (idealerweise z.B. 360-Grad-Feedback) und Beförderungen. Dieser erste Schritt steigerte bereits die Gehaltsfairness sowie die -transparenz. In einem weiteren Schritt führte GoDaddy ein relativ transparentes Gehaltssystem ein. Jedes Jahr erhalten Mitarbeiter Informationen über ihr Gehaltslevel und die Gehaltsspanne, um zu verstehen, wie viel mehr oder weniger sie maximal verdienen könnten.

Paart man den Ansatz von GoDaddy mit einem sinnvollen holistischen Leistungsbewertungssystem, so ergeben sich neue Möglichkeiten, um Lohnstrukturen transparenter zu gestalten, ohne Neid zu verursachen, da der soziale Vergleich abgeschwächt wird. Außerdem würden Mitarbeiter ihre Gehaltsmöglichkeiten eindeutig erkennen und konstruktives Feedback erhalten, welches ihnen dabei hilft, mehr zu verdienen. Da das Feedback den Kunden und die Kollegen in den Mittelpunkt stellt, werden die Interessen von Mitarbeiter und Unternehmen vereint. Damit zeigt sich, dass ein halbtransparenter Ansatz möglicherweise die beste Lösung ist, um Löhne gerecht zu gestalten, Mitarbeiter aufzuklären und die Nachteile einer totalen Gehaltstransparenz zu vermeiden. Ein Gehaltsbescheid könnte dann wie in Abbildung 1 aussehen.

Gehalt.png

Abbildung 1: Beispielhafter Gehaltsbescheid mit Angabe von Gehaltslevel, Bewertung und Entwicklungsmöglichkeiten

Fazit

Abschließend ist noch anzumerken, dass Geld einem Grenznutzen aufliegt. Ein höheres Gehalt kann die Lebenszufriedenheit steigern – allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Es gilt: Wer etwa 100.000 Euro brutto verdient, der gewinnt durch eine zusätzliche Gehaltserhöhung nicht mehr an Zufriedenheit (Tiedge, 2013). Natürlich verdient der Durchschnittsbürger nicht so viel Geld, doch hier wird klar, dass der Nutzen von Geld beschränkt ist und Unternehmen sich deshalb eher darauf konzentrieren sollten, ihren Mitarbeitern einen konstruktiven Arbeitskontext zu bieten, in dem diese sich entfalten können. Mitarbeiter, die authentisch, selbstbestimmt, kreativ und gesund arbeiten können, sind zufriedener und weniger an Geld interessiert. Geld ist dann ein wichtiger Hygienefaktor, der passen muss, aber eben auch nicht mehr.

Also, schaffen Sie eine Gesunde Organisation, in der Mitarbeiter nicht allein aufgrund des Geldes, sondern aus Überzeugung arbeiten!

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