„Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital“ – eine der am häufigsten formulierten Absichtserklärungen von Unternehmen und gleichzeitig selten überzeugend. So plausibel diese These ist, scheitert es in vielen Unternehmen an der praktischen Umsetzung. Laut einer Untersuchung des IWAK aus dem Jahr 2013 (Nüchter, 2013) fördern nur 54 % aller Betriebe Weiterbildungsmaßnahmen und nur knapp 30 % aller Mitarbeiter nehmen an betrieblichen Fortbildungen teil. Dabei ist diese Quote in mittleren Unternehmen (50 – 249 Beschäftigte) zwischen 2001 und 2013 nur leicht gestiegen und stagnierte in größeren Unternehmen (mit über 250 Beschäftigten) sogar. Zudem ist eine Verschiebung der Weiterbildungsintensität von den größeren zu den kleineren Unternehmen hin erkennbar.
Ein bedrohlicher Trend zeichnet sich ab, der mit intensiven Sparmaßnahmen verbunden ist, die jedoch den heutigen betrieblichen Notwendigkeiten nicht gerecht werden. Wenn die Komplexität der Arbeitsaufgaben weiterhin kontinuierlich zunimmt, kann diesem Trend nur durch eine entsprechende Qualifikation der Mitarbeiter begegnet werden – Weiterbildung ist entscheidend. Doch wie muss diese gestaltet sein? Wie kann der Erfolg von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen gewährleistet werden? Zunächst muss geklärt werden, wie sich Weiterbildung in betriebliche Prozesse einordnet.
Einordnung von Weiterbildungsmaßnahmen
Folgende Darstellung dient der Illustration:
Weiterbildung (oder allgemeiner: „Lernen“) als betrieblicher Wertschöpfungsprozess kann nur einen höheren Unternehmenserfolg nach sich ziehen, wenn sich die Fortbildungen an der übergeordneten Unternehmensstrategie orientieren. Der Beitrag von Personalentwicklung und Weiterbildung am wirtschaftlichen Erfolg ist erst dann messbar, wenn klar ist, welche Kompetenzen den Unternehmenszielen dienen. Hilfreich ist meist nicht die Frage, was benötigt wird, sondern was passiert, wenn Mitarbeiter nicht die passenden Kompetenzen und Fähigkeiten besitzen, um die strategischen Ziele zu erreichen.
Ein passendes Zitat hierzu lautet: „CFO asks CEO: ‚What happens if we invest in developing our people and then they leave us?‘ CEO: ‚What happens if we don’t, and they stay?‘ (Übersetzung: „CFO fragt CEO: ‚Was passiert, wenn wir unsere Mitarbeiter weiterbilden und dann verlassen sie uns?‘ CEO antwortet: ‚Was passiert, wenn wir dies nicht tun und sie bleiben?‘“). Anders gesagt: Weiterbildung ist teuer, doch keine Weiterbildung wird noch teurer.
Damit die hohe Bedeutung von Mitarbeiterschulungen deutlich wird, darf nicht nur von kurzfristigen Erfolgskennzahlen ausgegangen werden. Gerade die Herausforderungen durch schnelle Veränderungen und zunehmende Komplexität sind nicht mit einfachen Lösungen zu bewältigen. Der Kompetenzbegriff, der in aller Munde und zum Mantra der Weiterbildungsbranche und der HR-Landschaft geworden ist, erfährt in jüngster Zeit wieder einige Kritik (Kayser, 2013).
Kompetenzmodelle können hilfreiche Rahmenbedingungen zur Definition von Soll-Fähigkeiten darstellen. Sie dürfen jedoch den Menschen im Unternehmen nicht in „Kompetenz-Scheibchen“ zerlegen, sondern müssen ihn in seiner Ganzheit erfassen. Somit ist die Frage entscheidend, wie günstige Rahmenbedingungen für ein gesamtheitliches, nachhaltiges und leistungsförderndes Lernklima im Unternehmen aussehen können und Weiterbildungsmaßnahmen zum Erfolg führen.
Erfolgsfaktoren betrieblicher Weiterbildung
Ausschlaggebend ist die geschickte Gestaltung und Abstimmung unterschiedlicher Weiterbildungsmaßnahmen im Unternehmen. Eine gesunde Mischung ergibt sich aus der Kombination von „Education“, „Exposure“ und „Experience“ (die „70 – 20 – 10 – Regel“). Das Konzept geht zurück auf Michael Lombardo und Robert W. Eichinger, die im Rahmen von Studien des CCL (Center for Creative Leadership) eine ideale Mischung aus verschiedenen Erfahrungsformen für die Fortentwicklung von Mitarbeitern im betrieblichen Kontext herausstellten (CCL, 2011).
Die wesentliche Erkenntnis besteht darin, dass effektives Lernen über das Besuchen von Seminaren hinausgeht, formale Weiterbildungsmaßnahmen jedoch als „amplifier“ (Verstärker) wirken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das eigentliche Lernen findet immer in der konkreten Tätigkeit und kontinuierlichen Übung statt.
Experience – Exposure – Educate
Folgende drei Komponenten sind für möglichst hohe Lernerfolge maßgebend:
- Experience (70 %)Die meiste Arbeitszeit wird natürlich für die eigentliche Tätigkeit aufgewendet. Dies ist für die Leistung zentral. Erlerntes festigt sich hauptsächlich in der Tätigkeit selbst: durch Feedback und Erkenntnisse, durch Fehler, Beobachtung anderer und Fehlschläge – also durch Erfahrung. Dieser Sachverhalt wird auch „Erfahrungslernen“ genannt.Beobachtungen zufolge müssen für nachhaltige Lernerfolge etwa 70 % der Zeit für praktische Aufgaben aufgewendet werden. Dies bedeutet ebenso, dass zwischen dem Bedarf an Lerninhalten und der konkreten Arbeit ein Bezug hergestellt werden muss. Entscheidend ist somit z. B. die Bereitstellung herausfordernder und fördernder Arbeitsinhalte.
- Exposure (20 %)Eine weitere bedeutende Komponente über die explizite Weiterbildungsmaßnahme hinaus ist die unterstützende Begleitung durch Mentoren, den Vorgesetzten, durch erfahrene Kollegen und das weitere soziale Umfeld im Unternehmen. Hierbei geht es um die Bewusstmachung von Lernprozessen im Gespräch mit anderen oder um die Gestaltung von Lernschleifen in Standardabläufen. Agile Methoden sehen beispielsweise nach jedem Meilenstein eine sogenannte „Retrospektive“ vor, die den Arbeitsprozess reflektiert und Lernergebnisse sichtbar macht. Gleichzeitig werden Erkenntnisse in den weiteren Schritten sofort umgesetzt. Die Führungskraft spielt als Lernpartner bzw. Coach eine wichtige Rolle und muss sich als Human Capital Developer verstehen.
- Educate (10 %)Im Zentrum des Lernens steht natürlich die eigentliche Weiterbildungsmaßnahme. Ob Seminar, Workshop, e-Learning-Einheit, Coaching-Gespräch etc., stellt diese Komponente den wesentlichen und entscheidenden Input dar. Damit die Maßnahme jedoch Erfolg verspricht, sind weitere Faktoren für die Durchführung wichtig.
Rahmenbedingungen zur erfolgreichen Durchführung von Mitarbeitertrainings
Vor der eigentlichen Maßnahme müssen die zugrundeliegenden Motivationsfaktoren für die Weiterentwicklung in den Blick genommen werden. Selbstgesteuertes Lernen funktioniert nicht einfach dadurch, dass man dem Mitarbeiter Entwicklungsziele vorgibt. Stattdessen ist die Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen essentiell. Hilfreich kann sein, dessen Motivation hinsichtlich dreier Faktoren zu betrachten (in Anlehnung an Kehr 2011):
- Kopf:Aus Unternehmenssicht: Ist das Ziel relevant? Ist der Nutzen für das Unternehmen klar? Gibt es Zielkonflikte?Aus Mitarbeitersicht: Was ist wichtig für mich? Was will ich erreichen?
- Hand:Aus Unternehmenssicht: Sind die notwendigen Vorkenntnisse vorhanden? Gab es bereits ähnliche erfolgreich bewältigte Themen?Aus Mitarbeitersicht: Was sind meine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen?
- Bauch:Aus Unternehmenssicht: Hat der Mitarbeiter Spaß an der (neuen) Aufgabe? Bestehen (unbewusste oder bewusste) Ängste?Aus Mitarbeitersicht: Was mache ich wirklich gerne? Was erfüllt mich voll und ganz?
Eine starke Motivation zur Verfolgung definierter Weiterbildungsziele ist dann vorhanden, wenn hinsichtlich aller drei Faktoren eine hohe Übereinstimmung von Unternehmens- und Mitarbeiterzielen gegeben ist. Falls nicht, muss dies insbesondere bei nicht vorhandenem „Bauch-Faktor“ durch erhöhte Willenskraft und Disziplin ausgeglichen werden. Aus eigener Erfahrung ist bekannt, dass gerade diese Ressourcen oft sehr begrenzt sind, was zu hektischem Aktionismus und mehr oder weniger sinnlosen Alibi-Aktionen kurz vor dem nächsten Zielgespräch führen kann.
Wie bereits dargelegt, wird der Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen wesentlich bestimmt durch die Einbettung in eine Lernkultur im Unternehmen und die strategisch ausgerichtete Gestaltung der Rahmenbedingungen. Für die eigentliche Durchführung einer Maßnahme kann folgender Ablauf vorgeschlagen werden:
Aus der Abbildung geht hervor, dass erfolgreiche Weiterbildungsmaßnahmen in vor- und nachbereitende Aktivitäten eingebettet sein müssen. Die Maßnahme beginnt somit weit vor der eigentlichen Durchführung mit der Planung und der Definition des Weiterbildungsbedarfs, z. B. im Rahmen von Entwicklungsgesprächen. Durch die Definition der Entwicklungsziele wird eine Vorauswahl sinnvoller und passender Weiterbildungsmaßnahmen getroffen, die in Zusammenarbeit zwischen Fachabteilung, HR und dem Mitarbeiter situativ ausgewählt werden.
Kriterien sind hierfür nicht nur die fachliche Passung, sondern unter anderem auch persönliche Präferenzen des Mitarbeiters. Hierunter fallen beispielsweise zeitliche Rahmenbedingungen oder auch der persönliche Lernstil. Sehr gut lassen sich Maßnahmen im Bereich e-Learning nutzen (Online-Seminare, Webinare, Videokurse), die vom Mitarbeiter je nach zeitlicher Verfügbarkeit und persönlicher Planung in den Alltag eingebettet werden können und jederzeit wiederholbar sind.
Die unmittelbare Vorbereitung für die Maßnahme wird bestimmt durch die Ermittlung des konkreten Lernziels und dessen Formulierung. Zu oft äußern Teilnehmer in Seminaren in der obligatorischen Erwartungsabfrage Sätze wie: „Ich lasse mich überraschen!“ oder „Ich bin völlig offen!“. Ideal ist neben der Formulierung des Lernziels zudem die Definition von gewünschten und erwarteten Veränderungen anhand konkreter Anwendungsfälle in der Zukunft. Somit wird klar, was der „Lernauftrag“ ist.
Jenseits der Zielorientierung darf nicht vergessen werden, dass Weiterbildungsmaßnahmen ebenso einen allgemein- und netzwerkbildenden Charakter haben sollten. Deshalb ist es wichtig, ab und zu nicht zu zielorientiert an Maßnahmen heranzugehen, sondern durchaus auch Strategien anzuwenden, die nicht unbedingt direkt zum eigentlichen Ziel führen. Hierzu veröffentlichte vor kurzem der “Harvard Business Manager“ einen Beitrag zum Thema Management-Kompetenzen bzw. warum Philosophie im Management hilfreich sein kann (Brendel 2014).
Die eigentliche Durchführung der Maßnahme (Seminar, Workshop, Konferenz, E-Learning etc.) sollte mit der richtigen Planung, Auswahl und Vorbereitung intelligent konzipiert werden. Es geht dabei vor allem darum, Inhalte so praxisorientiert wie möglich zu gestalten und dabei den notwendigen theoretischen Input anzubieten. Wirklich neue Einsichten entstehen nur über neue Modelle für die Welt, also letztendlich neuen Theorien.
Für den nachhaltigen Lernerfolg der Maßnahme im Sinne der drei Es (s. o.) ist eine Begleitung und Nachbereitung der Inhalte wichtig. Dazu gehören u. a. die Nachlese der Weiterbildung (Wie war die Veranstaltung?) und die Definition folgender Maßnahmen zur Sicherung des Transfererfolgs bis hin zur Neugestaltung von Aufgabenbereichen oder der Definition von Lern- und Übungsprojekten.
Fazit und Empfehlungen
Für den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen ist die Einordnung in ein gesamtheitliches Konzept entscheidend, das die Unternehmensziele im Sinne von Zielkompetenzen abbildet. Zudem sollte die eigentliche Maßnahme in einen Kreislauf zur Sicherstellung des Lernerfolgs eingebettet sein, der die Planung, Vorbereitung und Nachbereitung der Maßnahme definiert. Zur Erhöhung des Lernerfolgs ist zudem die Ergänzung der formalen Trainingsmaßnahmen („Educate“) durch soziale Netzwerke („Exposure“; z. B. Lernpartnerschaften, Mentorenmodelle) und herausfordernde Aufgabeninhalte („Experience“) sinnvoll.