m Jahre 1974 brachte Chris Argyris (1923-2013) ein wegweisendes aber damals leider wenig beachtetes Buch auf den Markt: „Wissen in Aktion“. Er war einer der bedeutendsten Management-Vordenker und gilt als Schöpfer des Begriffs der „Lernenden Organisation“. Doch wie lassen sich günstige Rahmenbedingungen für individuelles und organisationales Lernen in Unternehmen schaffen?
Nur wenige Unternehmen sind Lernende Organisationen
Chris Argyris forschte gemeinsam mit Donald Schön weiter zur „Lernenden Organisation“. 1978 veröffentlichten beide ihr gemeinsames Werk: „Die Lernende Organisation“ ‑ zuletzt in einer überarbeiteten Ausgabe 1999 erschienen (Argyris und Schön 1999).
Doch erst nach dem Buch „Die fünfte Disziplin“ von Peter Senge (Senge 2011) erlangte das Konzept der lernenden Organisation Bekanntheit und verbreitete sich mehr und mehr. Darin wird das systemische Denken als fünfte Disziplin neben individueller Reife, mentalen Modellen, gemeinsamen Visionen und Lernen im Team eines lernenden Unternehmens definiert.
Jedoch muss konstatiert werden, dass viele der Ideen und Ansätze bisher wenig im Unternehmensalltag ankamen. Einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) zufolge, sehen Personal-Manager die lernende Organisation als eines der fünf zentralen Human Resources (HR)-Themen für die Zukunft. Gleichzeitig schätzen sie die Ausprägung der hier notwendigen organisatorischen Voraussetzung als relativ niedrig ein (Bohm et al. 2007).
Lernen aus interdisziplinärer Sicht
Lernen assoziiert man allgemein mit dem kognitiven Aneignen neuer Inhalte. Die Hirnforschung aber zeigt, dass wirksames Lernen auch immer eine ganzkörperliche Erfahrung darstellt und nur gut mit unserem inneren Belohnungssystem funktioniert. Ein „Aha“-Erlebnis sorgt für die körpereigene Dopamin-Dusche und wir erleben ein Glücksgefühl.
Dieser Mechanismus kommt allerdings wiederum nur in Gang, wenn positive Lernerlebnisse vorhanden sind (Spitzer 2003). Der durch diese Rückkopplung im positiven Fall entstehende Kreislauf lautet Virtuoser Kreis des Lernens (s. Abb. 1 rechts). Den negativen Sachverhalt, in dem eine Art Teufelskreis aus Frust, Angst und Vermeidung entsteht, gilt es nach Möglichkeit natürlich zu vermeiden (s. Abb. 1 links).
Abb. 1: Teufelskreis (li.) und Virtuoser Kreis (re.) des Lernens (Butterworth 1999), eigene Darstellung nach (Spitzer 2003)
Eines der wesentlichen Elemente dabei enthält die Frage, ob das eigene Können größer, gleich oder kleiner ist als die Anforderung der Aufgabe. Der Spruch „Man wächst mit seinen Aufgaben“ stimmt einerseits auch im Sinne der Lernpsychologie, denn herausfordernde Aufgaben schaffen in einer positiven Atmosphäre Anreize, sich neues Wissen anzueignen.
Andererseits schafft dauerhafte Überforderung auch Stress und sorgt dann im Extremfall für Burn-Out. Flow-Erlebnisse, die in einer positiven Balance zwischen Unter- und Überforderung entstehen, sind die beste Voraussetzung für besonders wirkungsvolles Lernen (Csikszentmihalyi 2010). Daniel Pink sieht die wichtigsten Faktoren für Motivation in den drei Elementen Selbstbestimmung, Perfektionierung und Sinnerfüllung. (Pink 2010)
Deshalb sollte jede Organisationsentwicklung das Ziel verfolgen, im Unternehmen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Hochleistungsphasen – anspruchsvolle Ziele mit hoher Anstrengung erreichen – sich mit Phasen der kreativen Entspannung abwechseln. Diese sorgt langfristig nachweislich für eine insgesamt höhere Produktivität und Leistungsfähigkeit (Bruch und Fischer 2014).
Das Modell der Organisationalen Energie meint hier die Energiezustände „Produktive Energie“ und „Angenehme Energie“ (Abb. 2).
Hier zeigt sich: Nachhaltiges und wirksames Lernen findet nicht in einem Zustand der Überhitzung und unter Angst und Stress statt. Somit bleibt letztendlich die Steuerung und Gestaltung der Energiezustände eine Gratwanderung zwischen den Gefahren der Beschleunigung (Produktive Energie schlägt um in Korrosive Energie) und der Trägheit (Angenehme Energie schlägt um in Resignative Trägheit).
Abb. 2: Typische Energiezustände in Unternehmen (Bruch und Fischer 2014)
Der Hirnforscher Gerald Hüther beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit lernförderlichen Strukturen in der Bildung. Er nennt drei Voraussetzungen für hirngerechte Lernangebote von Schülern (Hüther 2008). Übertragen auf den Bereich der Weiterbildung in Unternehmen bedeutet dies, dass Lernen im Unternehmenskontext dann bei folgender Gestaltung des Lernprozesses wirkt:
- Lernen als Sinngebung: Sinnvolle Lernangebote und -erfahrungen für den Lernenden. Das bedeutet, dass klar sein muss, warum das Lernen stattfindet. Zudem sollte Anerkennung und Wertschätzung erreicht werden können.
- Lernen als ganzkörperlich-emotionale Erfahrung: Lernerfahrungen bleiben dann besonders stark in Erinnerung, wenn sie „unter die Haut gehen“. Dies spricht ganz klar für Angebote, die man in der direkten Aktion erlebt, wo man Dinge sofort ausprobieren kann und die Lernerfahrung mit möglichst vielen Sinnerlebnissen verknüpft ist. Ein Beispiel: das Konzept der Firma dm Drogeriemärkte, die Theater-Workshops für ihre Auszubildende anbietet (dm 2013).
- Lernen als Vorbereitung auf die praktische Erfahrung: Insbesondere die Verknüpfung zur späteren Anwendung des Gelernten muss für einen erfolgreichen Lerntransfer gegeben sein. Nur wenn die gewonnenen Einsichten, Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten sich in der Praxis als nützlich und hilfreich erweisen, wird Lernen als erfüllend wahrgenommen.
Ein letzter Aspekt einer lernenden Organisation soll nicht unerwähnt bleiben. Dabei geht es um die Frage, welche Kommunikations- und Organisationsstrukturen im Unternehmen das Lernen fördern. Insgesamt lässt sich dies darauf reduzieren, wie die Gewichtung von generellem und firmenspezifischem Humankapital aussieht.
Dabei zeigte eine Studie des MIT (Spohr 2010) die offensichtlich großen Anteile des firmenspezifischen, das man nicht einfach auf andere Unternehmen übertragen kann.
Oder anders gesagt: Der eigentliche Wert steckt nicht in den Köpfen der Spezialisten, sondern im sogenannten „unsichtbaren College“. Dieses entsteht durch starke Vernetzung, kommunikationsfreundliche Strukturen und eine positive Lern- und Fehlerkultur. Christakis und Fowler kommen in ihrem Buch zu ähnlichen Erkenntnissen in Bezug auf den Wert und die bedeutende Wirkung von sozialen Netzwerken (Christakis und Fowler 2010).
Lernen in der gesunden Organisation
Die Organisationsentwicklung arbeitet häufig mit dem Dreiklang aus Strategie, Struktur und Kultur. Der Weg von einer Organisation hin zu einer lernenden funktioniert nur in Balance mit den drei Entwicklungsfeldern. Die Klammer über den drei Komponenten bildet dabei das Thema Führung. Das verdeutlicht, Organisationen bestehen natürlich aus Menschen und entwickeln sich unmöglich unabhängig von den Individuen.
Sinnvollerweise sollte dann das Modell um die Komponenten Mitarbeiter, Beziehungen und Prozesse ergänzt werden. Die Entwicklung in einer Organisation und damit auch das Lernen finden dabei immer auf allen Ebenen statt.
Management und Führung verfolgen also das Ziel, eine Organisation im Sinne der Strategien und Ziele des Unternehmens zu entwickeln und damit erfolgreich und zukunftssicher zu gestalten. Dabei wollen sie die Erwartungen aller Anspruchsgruppen erfüllen.
Das (Selbst-)Lernen bildet dabei eine zentrale Komponente. Denn nur Organisationen, die in sich selbst veränderungs- und anpassungsfähig bleiben, sind in der Zukunft weiterhin erfolgreich. Das zeigt die lange Liste von ehemals erfolgreichen Unternehmen, die an ihrem eigenen Erfolg, der damit verbundenen Hybris und der Unfähigkeit zum Selbstlernen zugrunde gingen (Kodak, Nokia, Schlecker etc.).
Zur Gestaltung gesunder und lernender Organisationen helfen Ihnen die folgenden Empfehlungen:
Führung steht am Beginn jeder Veränderung
Die Führungskräfte haben in jeder Veränderung eine entscheidende Bedeutung. Nur Führungskulturen und -strukturen, bei denen das Top-Management eine positive Lernkultur vorlebt, nehmen Signale auch ernst. Dabei werden Top-Führungskräfte nur in 46% der Unternehmen in Deutschland nach einer Studie von Forsa und ILS Professional überhaupt durch Weiterbildungsangebote gefördert.
Die Art der Führung bestimmt das Maß der Lernbereitschaft und Lernfähigkeit. Hier stellten sich insbesondere neuere Führungskonzepte als hilfreich heraus.
In einer TOP JOB Studie von 2013 zeigte sich, dass ein inspirierender Führungsstil, zusammen mit einer starken Betonung der Gesundheitsorientierung, einen hohen Einfluss auf die Gesundheit und damit auf Identifikation, Wohlbefinden, Engagement etc. ausübt (Bruch und Kowalevski 2013). Wie oben beschrieben, stellen dies alles positiv begünstigende Faktoren für individuelles und organisationales Lernen dar.
In der ausgewogenen Balance zwischen Fördern und Fordern besteht ein wichtiger Hebel zur Schaffung von lernförderlichen Rahmenbedingungen. Das Flow-Konzept zeigt, dass Motivation dann entsteht, wenn Anforderungen und Fähigkeiten ein ähnliches Niveau haben. Großes Augenmerk sollte daher gelegt werden auf die individuelle Gestaltung des Aufgabenspektrums.
Die Kommunikationsstruktur ist Erfolgsfaktor Nr. 1 für den Lern- und Wissenstransfer
Lernen entsteht vor allem in der Kommunikation zwischen den Menschen in Organisationen. Daher muss man auf die Gestaltung engmaschiger Kommunikationsnetzwerke und durch vielfältige Medien unterstützte Kommunikationsplattformen fokussieren.
Moderne Methoden des agilen Projektmanagements zeigen, dass in Prozessen verankerte Lern- und Selbstlernschleifen einen großen Beitrag zur Lernenden Organisation leisten können. Das Tool „Retrospektive“ in der agilen Softwareentwicklung mit Scrum bildet nach Abschluss jeder Projektphase die Plattform für Lernprozesse, die dafür sorgen, die Selbstlernfähigkeiten der Teams zu steigern (Wikipedia: Scrum/Retrospektive).
Lernen und Weiterbildung ist strategische Notwendigkeit und kein Incentive
Wie bereits erläutert, muss Lernen Sinn machen, also einen im unternehmerischen Kontext positiven Beitrag zur Erreichung der strategischen Ziele darstellen. Auf individueller Ebene besteht die Notwendigkeit, den Bezug zur persönlichen Lebensplanung herzustellen. Nur wo die beiden Perspektiven zusammenpassen, entsteht eine Win-Win-Situation.
Konkret bedeutet das: Absolute Klarheit der strategischen Bedeutung schaffen und des praktischen Nutzens zur Bewältigung anstehender Aufgaben für einzelne Trainingsmaßnahmen.
Kultur ‑ der Kitt im Unternehmen
Die Entwicklung einer positiven Lernkultur erweist sich insbesondere für Innovationsprozesse als ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Lernen ohne Fehler geht nicht, nur wer nichts macht, macht keine Fehler.
Daher leistet die Entwicklung einer Fehlerkultur, welche die Fehler nicht als Kosten, sondern als Investition in die Zukunft versteht, einen hohen Beitrag zur Lernenden Organisation und trägt zu einem positiven Lernklima bei.