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Die REFLECT-Serie „Kranke Organisation“ (1/7)

Nachdem wir in den vergangenen beiden Jahren unser Konzept der Gesunden Organisation (2014) und dem Führen in der Gesunden Organisation (2015) ausgefaltet haben, möchten wir uns, wie in den letzten Notizen angekündigt, in der diesjährigen Serie der Kranken Organisation bzw. ihrer kleineren Schwester, der Kränkelnden Organisation, widmen. Das macht weniger Freude, beschäftigt man sich doch lieber mit positiven Dingen, gleichwohl sieht die Realität der Unternehmenswelt oft anders aus. Wir möchten in dieser Reihe eine Idee vermitteln, was in Organisationen falsch läuft, welche Ursachen das haben kann und welche Lösungssätze sich entsprechend anbieten.

Vier Treiber aus den Bereichen Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Wissen und Werte können als bedeutende und den Unternehmenskontext beeinflussende Faktoren ausgemacht werden (s. Abb. 1).

Vier Treiber der kranken Organisation

Abb. 1: Treiber des aktuellen Unternehmenskontexts

Diese beeinflussen sich wechselseitig, wie durch die Pfeile in der Mitte der Abbildung angedeutet wird. Nicht immer ist es leicht, all diesen Herausforderungen, gleichzeitig gerecht zu werden. Bspw. fällt es Menschen in immer komplexeren Arbeitswelten, in Zeiten von Globalisierung und „virtueller“ Zusammenarbeit zunehmend schwerer, Sinn in der Arbeit zu erleben. Oder: Die hohe Wettbewerbsintensität führt zu einer scheinbar kostengünstigen Verlagerung von Kernprozessen, was Probleme in der Geschwindigkeit nach sich zieht (komplizierte Prozesse, Sprachbarrieren, Arbeiten in unterschiedlichen Zeitzonen verlangsamen das Gesamtsystem) und meist negative Auswirkungen auf den Spaß bei der Arbeit hat. Oder: Die hohe Wissensmenge bei gleichzeitigem demographischen Wandel führt zu extremen Herausforderungen, wie das notwendige Wissen im Unternehmen gehalten werden kann (Stichwort „Wissensmanagement“).

Bezeichnenderweise werden die wettbewerbsverändernden Faktoren heute unter dem Akronym VUCA zusammen gefasst (s. Abb. 2).

Vuca-Matrix

Abb. 2: VUCA-Matrix (in Anlehnung an Bennett & Lemoine, 2014)

Da alle Faktoren des Unternehmensumfelds im Gegensatz zu früher komplexer, dynamischer, unsicherer und mehrdeutiger werden, entstehen auch mehr Möglichkeiten und Chancen. Fredmund Malik (2015) spricht deshalb nicht umsonst davon, dass der Umgang mit Komplexität zu den herausragenden Kenntnissen und Fähigkeiten von Führungskräften in Bezug auf die erfolgreiche Steuerung von Organisationen im 21. Jhdt. gehören wird. Aber längst nicht alle sehen Komplexität, Volatilität, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit tatsächlich als Chance, sondern eher als Bedrohung. Die herkömmlichen Steuerungsmechanismen, wie sie noch bis ins letzte Jhdt. ausgeübt wurden, funktionieren mehr schlecht als recht und werden künftig immer weniger funktionieren.

Die Folge sind Kränkelnde oder Kranke Organisationen. Was verstehen wir darunter?

Von Kränkelnden Organisationen sprechen wir, wenn, wie bei einem lebenden Organismus, nicht der ganze Organismus von einer Krankheit befallen ist, sondern nur Teile. Nach unserer Logik der Gesunden Organisation betrifft das die Bereiche Führung, Strategie, Beziehungen, Kultur, Mitarbeiter/innen, Strukturen und Prozesse.
Bleiben wir zur Erklärung bei der Metapher des menschlichen Organismus: Wenn ein Teil des Organismus bspw. durch einen Virus betroffen ist, dann kränkelt der Mensch. Ist das Immunsystem intakt, ruht sich der Mensch aus, achtet er/sie auf seine Ernährung, kommt er/sie auch von selbst wieder auf die Beine. Der Organismus heilt sich selbst und bringt sicher wieder in Balance. Ähnlich beim Unternehmen: Auch kränkelnde Unternehmen können von selbst Krisen überwinden, wenn sie inne halten und sich ihrer Ressourcen bewusst werden. Andererseits können von einem Virus befallene Organismen noch einige Jahre recht erfolgreich sein, ohne dass man es merken würde. Aktuelle Beispiele gibt es zahlreiche, denken Sie nur an VW (starre Hierarchien, Alleinherrschertum, Angstkultur).
Nimmt man die kränkelnden Symptome jedoch nicht ernst genug, macht man also einfach weiter, kann der Organismus tatsächlich krank werden, im schlimmsten Falle sogar unheilbar. Das gleiche gilt für Organisationen. Denken Sie als aktuelles Beispiel an den Fall der Deutschen Bank. Über viele Jahre wurde in unterschiedlichen Konzernbereichen betrogen, ein Skandal folgte dem nächsten. „Reine machen“ war angesagt, funktionierte aber bisher nicht wirklich. Genau wie beim Organismus, kann nur ein radikales Umdenken und Anders-Machen helfen, das Unternehmen wieder gesunden zu lassen. Ob das mit dem neuen starken Mann an der Spitze – John Cryan und seinem radikalen Konzernumbau – gelingen wird, bleibt abzuwarten. Die Hoffnung stirbt jedoch zuletzt.

Die folgende Abbildung 3 verdeutlicht eine Kränkelnde Organisation. Das Unternehmen hat im gezeigten Fall eine markt- und ressourcenorientierte Strategie und adaptive Strukturen, was die dunkelgrüne Markierung um die Wabe und die Zahl 0 anzeigt. Allerdings befinden sich die Mitarbeitenden im Dauerstress (rote Markierung, -5), worunter auch die Beziehungen leiden (orange Markierung, -3). Gründe hierfür könnten evtl. die eher mageren Prozesse (hellgrün, -2) oder auch die eher altruistische Kultur (hellgrün, +2) sein, in welcher sich die Mitarbeitenden für die Organisation aufopfern. Beide extreme Ausprägungen in Richtung -5 bzw. +5 sehen wir als Übertreibungen und damit als ungesund an. Aus Gründen der besseren Verständlichkeit haben wir den Einfluss von Führung als eigenständigen Bereich hier zunächst ausgeblendet, da wir in einer der zukünftigen Notizen darauf zurückkommen werden.

Kraenkelnde Organisation

Abb. 3: Beispiel einer Kränkelnden Organisation  (ohne Führungsdimensionen – gekennzeichnet als graue Bereiche in der Mitte)

Die Darstellungsweise gewährt einerseits einen Überblick zur Gesamtsituation aber auch einen Einblick in den Zustand der einzelnen Dimensionen. Wir gehen davon aus, dass die Balance zwischen den einzelnen Dimensionen langfristig einen optimalen Zustand für eine erfolgreiche Organisation darstellt. Unter Balance verstehen wir in diesem Zusammenhang, dass einzelne Dimensionen, aber auch die Gesamtorganisation und die Art der Führung über längere Zeit weder zu sehr in die eine, noch in die andere Richtung tendieren sollten.

Bei einer Kranken Organisation sind nahezu alle oder alle Organisationsdimensionen von dem Krankheitserreger befallen. Eine Kranke Organisation gerät dadurch völlig aus dem Gleichgewicht und hat kaum eine Chance, ihre Schwachstellen und Symptome durch Stärken in anderen Dimensionen auszugleichen. Sie benötigt meist externe Hilfe, wie z. B. durch Kapitalspritzen(Commerzbank), neue Mitarbeitende – meist auf Topp-Management Ebene (Deutsche Bank), eine Restrukturierung (Kaufhof) oder völlige Neuausrichtung (EnBW, RWE). Oft sind es diverse Maßnahmen gleichzeitig. Im schlimmsten Fall droht der Kranken Organisation das endgültige „Aus“ (Schlecker).

Abbildung 4 stellt eine Kranke Organisation dar. Die Extreme in den einzelnen Waben beschreiben die jeweils möglichen Symptome und Zustände. In der Interdependenz führen diese zu einer Kranken Organisation, die stark gefährdet und in dieser Form auch nicht mehr zukünftsfähig ist.

Kranke Organisation

Abb. 4: Kranke Organisation (ohne Führungsdimensionen – gekennzeichnet als graue Bereiche in der Mitte)

Damit sind zwei weitere Aspekte angesprochen: Eine gesunde Balance bezieht sich nicht nur auf die INTRAdimensionale Ebene, also alles, was innerhalb einer Wabe passiert, sondern auch auf die INTERdimensionale Ebene, also auf die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Dimensionen.
Auf der intradimensionalen Ebene tendieren balancierte Unternehmensdimensionen nicht in eine extreme Richtung (z. B. gelangweilt – gestresst, egozentrisch – altruistisch, lose – starr), sondern im besten Falle in der Mitte zwischen beiden Polen. Ziel muss es deshalb sein, eine intradimensionale Balance herzustellen, die – bspw. bei den Mitarbeitenden – zw. den beiden Extremen gelangweilt und gestresst liegt. Das macht dann leistungsfähige Mitarbeitende aus.

Wie oben schon kurz erwähnt, spielt aber auch die interdimensionale Ebene eine Rolle. Durch die Interdependenzen und wechselseitigen Abhängigkeiten kann eine Veränderung in einer Dimension Einfluss auf die anderen Dimensionen haben. Nehmen wir an, Ihr Unternehmen erlebt eine schwere Krise und das Topp-Management entscheidet sich für Mitarbeiterentlassungen als bittere, aber notwendige, schnelle und effektive Maßnahme. Natürlich löst eine solche Nachricht unmittelbare Betroffenheit, Angst, Unsicherheit und Stress aus. Doch das wird nicht das einzige Symptom bleiben. Eine solche Entscheidung wird zu Veränderungen in allen Unternehmensdimensionen führen und einen Schneeballeffekt kreieren, dem man sich vielleicht nicht immer gänzlich bewusst ist.

Es ist deshalb von zentraler Bedeutung, den systemischen Charakter von Organisationen zu verstehen. Das Ziel kann deshalb nicht allein lauten, eine intradimensionale Balance zu erreichen. Sie wird ohnehin, isoliert betrachtet, nur schwer zu erreichen sein. Die interdimensionale Balance ist die wichtigere und zugleich grundlegendere Herausforderung. Sie wirkt nachhaltiger, sichert die intradimensionale Balance und somit ein insgesamt ausgeglicheneres und zukunftsfähiges, dynamikrobustes Unternehmen.

In den folgenden Notizen dieser Serie werden wir die dimensionalen Kennzeichen einer Kränkelnden Organisation bzw. Kranken Organisation aufzeigen, um Ihnen (Früh-) Indikatoren deutlich zu machen, die Sie zur Analyse Ihrer Organisation und Ideengenerierung nutzen können. Konkrete Praxisbeispiele sollen darüber hinaus den Sachverhalt verdeutlichen.

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