Mittelständische Unternehmen in Deutschland stehen vor einer doppelten Herausforderung: Der demografische Wandel führt dazu, dass bis 2030 über 300.000 Führungskräfte fehlen werden. Dies zeigen führende Studien (s. unten). Gleichzeitig sinkt das Interesse junger Menschen an Führungsverantwortung.
Diese Entwicklung wirf für Unternehmen grundlegende Fragen auf: Wie kann Führung in Zukunft gestaltet werden? Wie können Unternehmen die Kluft zwischen den Generationen überbrücken, um sowohl erfahrene wie auch junge Talente in Führungspositionen zu integrieren, so dass diese gerne Verantwortung übernehmen?
Demografischer Wandel und Führungskräftemangel bis 2030
Während ältere Generationen traditionell Führung als hierarchische Aufgabe mit klaren Strukturen und Entscheidungswegen sehen, erwarten jüngere Generationen mehr Flexibilität, Sinnhaftigkeit und eine Arbeit, die ihren persönlichen Werten entspricht. Besonders in Führungspositionen wird dies deutlich: Ein autoritärer Führungsstil beispielsweise wird zunehmend infrage gestellt und fördert Konflikte zwischen den Generationen.
Führungspositionen: Vom Traumjob zum Zögern?
Lange galt eine Führungsposition als der Höhepunkt der beruflichen Laufbahn. Doch heute sieht das anders aus. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung (2020) zeigt, dass 30 % der heutigen Führungskräfte Zweifel an ihrer Eignung für diese Rolle haben und unsicher sind, ob sie den hohen Erwartungen gerecht werden. Besonders junge Führungskräfte aus den Generationen Y und Z kämpfen mit Selbstzweifeln. Diese Generationen assoziieren Führungsverantwortung oft mit negativen Aspekten wie emotionaler Erschöpfung, hoher Belastung und unzureichender Unterstützung durch ihre Organisationen.
Eine weitere Umfrage der Boston Consulting Group zeigt, dass nur noch sieben Prozent (!) der jungen Beschäftigten bereit sind, eine Führungsposition zu übernehmen. Diese Zahl verdeutlicht, dass die traditionelle Führungsrolle ihren Reiz verloren hat, da sie zunehmend als stressig und wenig erfüllend wahrgenommen wird. Führungskräfte beklagen fehlende Work-Life-Balance und den Druck, in einem komplexen Arbeitsumfeld erfolgreich zu agieren.
Generationenkonflikte am Arbeitsplatz
Ein weiteres zentrales Problem stellt der Generationenkonflikt in Bezug auf Führungsverhalten an sich dar. Während ältere Führungskräfte Werte wie Disziplin, Durchsetzungsstärke und klare Hierarchien hochhalten, bevorzugen jüngere Generationen ein kollegiales und flexibles Arbeitsumfeld. Sie sehen Führung nicht als Kontrolle, sondern als Coaching, bei dem Einfühlungsvermögen, offene Kommunikation und die individuelle Entwicklung der Mitarbeitenden im Vordergrund stehen.
Baby Boomer neigen dazu, klare Hierarchien zu bevorzugen, bei denen der Führungskraft die Entscheidungsgewalt zukommt – insbesondere in Stresssituationen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen führen häufig zu Spannungen und Missverständnissen. Denn es fehlt oftmals an der notwendigen emotionalen Ruhe.
Führung attraktiv machen: Was Unternehmen jetzt tun müssen
Der Mangel an Führungsinteresse und die Selbstzweifel junger Talente sind jedoch keine unüberwindbaren Hindernisse. Vielmehr bieten sie die Chance, die Führungskultur zu modernisieren und an die Bedürfnisse einer neuen, kooperativen Arbeitswelt anzupassen. Unternehmen müssen gezielt an ihrem Führungsverständnis arbeiten, um Führung für junge Talente wieder attraktiv zu machen.
Eine entscheidende Maßnahme ist die klare Definition dessen, was Führung in der heutigen Zeit bedeutet. Junge Führungskräfte benötigen Orientierung, was konkret von ihnen erwartet wird und vor allem, wie sie in diese Rollen hineinwachsen können, ohne sich dabei überfordert zu fühlen.
Ein neues Denkmodell?
Ein innovativer Ansatz, der seit einiger Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist das Konzept des Servant Leadership. Dieses Führungsmodell wurde von Robert K. Greenleaf schon in den 1970er Jahren geprägt und unterscheidet sich grundlegend von traditionellen Führungsstilen. Sein zentrales Argument: Die effektivsten Führungskräfte handeln zuerst als Diener (im Sinne einer Dienstleistung) und übernehmen anschließend die Rolle des Anführers (im Sinne der Ermöglichung / Ermächtigung).
Im Gegensatz zu herkömmlichen Führungsmodellen, bei denen Funktionalität und Kontrolle zentral sind, zielt Servant Leadership darauf ab, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den Vordergrund zu stellen.
Eine dienende Führungskraft fördert die persönliche und berufliche Entwicklung ihrer Teammitglieder, unterstützt sie dabei, ihre eigenen Ziele zu erreichen, und setzt sich aktiv für das Wohl der Gemeinschaft ein. Bei REFLECT sprechen wir in diesem Zusammenhang von Balancierter Führung. Dieser Ansatz beinhaltet einige der oben beschriebenen Aspekte und führt in der Umsetzung zu einer responsiven und gesunden Organisation mit gesunden und leistungsfähigen Mitarbeitern.
Die wesentlichen Unterschiede zu traditionellen Führungsstilen komprimiert:
- Top-Down-Hierarchie vs. Bottom-Up: Während traditionelle Führungshierarchien die Führungskraft an die Spitze der Pyramide platzieren, steht der Servant Leader symbolisch am Fuße der Hierarchie und unterstützt seine Mitarbeitenden von unten. Ziel ist es, die Autonomie und Eigenverantwortung des Teams zu fördern.
- Funktionalität, Macht und Kontrolle vs. Dienen und Befähigen: In traditionellen Führungsmodellen übt die Führungskraft formale Macht aus, um Entscheidungen herzustellen bzw. zu kontrollieren. Im Servant Leadership liegt der Schwerpunkt auf dem Dienen und der Befähigung der Mitarbeitenden, selbstbestimmt zu handeln und fördert Eigenständigkeit.
- Ergebnisse vor Menschen vs. Menschen vor Ergebnissen – oder besser: Menschen mit Ergebnissen: Während herkömmliche Führungsstile häufig auf das Erreichen von Ergebnissen ausgerichtet sind, steht bei Servant Leadership der Mensch im Mittelpunkt. Der Erfolg des Teams ist ein Ergebnis der Unterstützung und Förderung durch die Führungskraft, die das Wohl ihrer Mitarbeitenden über kurzfristige Ergebnisse stellt. Ein guter Team-Spirit und persönliche Entwicklung sind die Saat für erfolgreiche(re) Ergebnisse.
Beispiel aus der Praxis:
Ein bekanntes Beispiel ist die Marke Patagonia (Hersteller nachhaltiger Kleidung), die sich durch seine starke soziale und ökologische Verantwortung auszeichnet. Die Führungskräfte des Unternehmens legen Wert auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit, während sie gleichzeitig ihre Mitarbeitenden ermutigen, innovativ und eigenverantwortlich zu handeln.
Die Kultur von Patagonia zeigt, dass dies Art der Rahmengestaltung langfristigen Erfolg sowohl für das Unternehmen als auch für die Gesellschaft bewirken kann. Ganz nebenbei zieht Patagonia hierdurch Talente und Potenzialträger an, die dort arbeiten möchten.
Führung attraktiv machen: Was Unternehmen jetzt tun müssen
Der Mangel an Führungsinteresse und die Selbstzweifel junger Talente sind keine unüberwindbaren Hindernisse. Vielmehr bieten sie die Chance, die Führungskultur zu modernisieren und an die Bedürfnisse der neuen Arbeitswelt anzupassen.
Unternehmen sollten gezielt an ihrer Führungskultur arbeiten, um die Führung für junge Talente wieder attraktiv zu machen.
Eine entscheidende Maßnahme ist die klare Definition dessen, was Führung in der heutigen Zeit bedeutet. Junge Führungskräfte benötigen Orientierung, was von ihnen erwartet wird, und vor allem, wie sie in diese Rollen hineinwachsen können, ohne sich dabei überfordert zu fühlen. Hier kommen maßgeschneiderte Entwicklungsprogramme ins Spiel.
Handlungsempfehlungen für die Führung verschiedener Generationen
REFLECT hat ein kompaktes Programm entwickelt, gemeinsam mit etablierten Führungskräften den erforderlichen Rahmen zu schaffen und Führungspotenziale systematisch zu qualifizieren und sie auf ihre Rolle vorzubereiten. Dieses Programm besteht aus je drei Modulen und einem abschließenden Umsetzungsworkshop.
Fokus der Modul-Inhalte:
Echt sein – authentisch führen.
Junge Führungskräfte verstehen ihre eigene Rolle und erkennen künftige Führungsaufgaben und nehmen diese an. Sie lernen, ihre eigenen Stärken und Potenziale zu nutzen und entwickeln Fähigkeiten der Selbstführung. Das ist ein wesentlicher Grundstein für authentische Führung, bei der sich Führungskräfte nicht verstellen müssen, sondern „echt“ bleiben können.
Authentizität wird zunehmend als eine der wichtigsten Eigenschaften adäquater Führung gesehen, da sie Vertrauen und Glaubwürdigkeit fördert.
Mitarbeitende mitnehmen – kommunikative Kraft entfalten.
Kommunikation ist der Schlüssel zur erfolgreichen Führung. Führungskräfte können wirksamer sein, wenn sie durch aktives Zuhören, Feedback und den gezielten Einsatz systemischer Fragen ihre Mitarbeitenden motivieren und begleiten können. Besonders der Aspekt der „Führung nach unten und oben“ – also der Kommunikation mit dem Team wie mit der eigenen Führungsebene oder der darüber ist eine zentrale Qualifikation.
Mut zur Veränderung haben – Themen umsetzen.
Veränderung ist eine Konstante im Arbeitsleben und Führungskräfte bringen den Mut auf, Veränderungen proaktiv anzugehen. Es geht darum, wie Veränderungsprozesse gesteuert, wie mit Widerstand umgegangen und wie Befähigung aller Beteiligten gefördert werden kann. Potenzielle Führungskräfte verinnerlichen, ihre Teams auch in Phasen der Veränderung zu unterstützen und dabei gleichzeitig Stabilität zu gewährleisten – bei sich und bei Anderen.
Potenzialträger verstehen – Werte, Motive und Verhalten einordnen.
Etablierte Führungskräfte der Generation Baby Boomer erkennen die Werte und Motive ihrer jüngeren Mitarbeitenden besser und verstehen, sie effektiv führen und entwickeln zu können. Den Zusammenhang zwischen persönlichen Motiven, Werten und Verhalten zu erkennen und wertzuschätzen fällt dieser Generation von Führungskräften oftmals schwer. Das Verständnis für unterschiedliche Rollen und Teamdynamiken muss also vertieft werden, um Dysfunktionen in heterogenen Teams zu vermeiden.
Den Weg bereiten – Junge Führungskräfte pflegen und wachsen lassen.
Die Entwicklung und Begleitung junger Führungskräfte ist ein zentraler Bestandteil nachhaltiger Führungsarbeit. Hier kann beispielweise das GROW-Coaching-Modell Unterstützung bieten, das es Führungskräften ermöglicht, gezielte Entwicklungsgespräche zu führen und junge Talente zu begleiten. Das aktive Zuhören und die professionelle Gesprächsführung stehen dabei im Vordergrund, um das Vertrauen von Nachwuchsführungskräften zu gewinnen.
Vehement bleiben – Nachhaltigkeit sicherstellen.
Nachhaltige Führung bedeutet, alte Muster abzulegen und neue Führungsansätze zu integrieren. Die Idee von Servant Leadership bzw. Balancierter Führung zeigt den „alten Hasen“, wie wichtig es in der heutigen Praxis ist, nicht nur Wissen zu vermitteln und zu delegieren, sondern Mitarbeitende zu befähigen und zu unterstützen.
Junge Führungskräfte sollten begleitet werden, ihre eigenen Fehler und Erfahrungen machen dürfen – nur so lernen Menschen nachhaltig. Das Programm von REFLECT zielt darauf ab, langfristige Beziehungen innerhalb des Teams aufzubauen, die auf Vertrauen, Respekt und Zusammenarbeit basieren.
Agile Führungsinstrumente und Frameworks können helfen, ein gemeinsames Mindset für eine attraktive Führungsumgebung zu gestalten, die Potenzialträger befähigt und motiviert, sich in eine Führungsverantwortung zu entwickeln.
Von der Theorie in die Praxis.
Wenn die ersten Grundlagen geschaffen sind, und etablierte Führungskräfte in der Lage sind, einen Rahmen für die Potenzialträger zu gestalten und gleichzeitig junge, potenzielle Führungskräfte erkannt haben, wie sie gut in Verantwortung kommen können, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, gemeinsam Vereinbarungen zu treffen. Sie brauchen ein gemeinsames Zielbild und Maßnahmen für eine erfolgreiche und kooperative Führungsumgebung, die „beiden Parteien“ gerecht wird. Es geht also darum, eine generationenübergreifende Führung zu organisieren und damit eine drohende Führungslücke im Unternehmen zu schließen.
Vorteile der generationsübergreifenden Führung.
Unternehmen, die ihre Führungskräfte generationenübergreifend vorbereiten, profitieren von zahlreichen Vorteilen. Eine generationenübergreifende Führungskultur, die auf Empathie, Transparenz und eine dienende Haltung setzt, stärkt das Vertrauen im Team und verbessert die Zusammenarbeit. Sie steigert das Unternehmen, die Innovationskraft, die Mitarbeiterzufriedenheit und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit. Dies alles wirkt sich auch auf die Attraktivität der Arbeitgebermarke aus.
Schlussfolgerung: Führung der Zukunft gestalten
Die Kalibrierung der Führungskultur steht vor tiefgreifenden Herausforderungen, aber sie bietet auch einzigartige Chancen, die Führung neu zu denken.
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Quellen
Brücken, T. (2019). Nur die wenigsten möchten noch ins Management aufsteigen. BCG-Studie
CreatingCorporateCulture (2020). Führungsmüde? Deutschlands Führungskräfte (ver-)zweifeln an ihrer Rolle. Bertelsmann Stiftung
Greenleaf, R.K. (1973). The Servant as Leader. 1-40
Klier, J., Stern, S. (2019). Bis 2030 fehlen im öffentlichen Sektor in Deutschland 730.000 Mitarbeiter. McKinsey & Company
Piacquadio, A. (2020). https://www.pexels.com/de-de/foto/laptop-buro-internet-verbindung-3866352/
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