Stellen Sie sich folgende Situation vor: Der Geschäftsführer eines im Umbruch befindlichen Unternehmensbereichs verschiebt seine Teilnahme an der Betriebsversammlung nicht nur einmal, sondern mehrfach. D.h. er kündigt sein Kommen mehrfach an und sagt ebenso häufig wieder ab.
Man kann dies kommentieren mit: „So ist es halt bei uns“. Man könnte aber auch sagen: „Wundert Euch nicht, wenn enttäuschte Mitarbeitende in Scharen in Richtung innere Kündigung aufbrechen.“
Sie kennen auch folgende Situation: Vorstand und Führungsteam stoßen eine Veränderung nach der anderen an. Auf die Idee, an die Auswirkungen für die Mitarbeitenden, deren Sichtweisen und Gefühlswelten zu denken, kommt dabei keiner der Verantwortlichen.
Man kann sagen: „Der Druck vom Markt zwingt uns zu laufender Veränderung – uns bleibt gar nichts anderes übrig“. Man könnte aber auch sagen: „Wundert Euch nicht, wenn sich Mitarbeitende übergangen, überfordert oder einfach nur abgehängt fühlen.“ Und: „Wundert Euch auch nicht, wenn sich gerade die besten Mitarbeitenden am schnellsten nach einer anderen, wertschätzenderen Arbeitsumgebung umschauen.“
Insbesondere in Veränderungsprozessen sind die Folgen nicht-empathischer Führung gravierend. Unempathische Führungskräfte irrlichtern durch das Gestrüpp hektischer Change Initiativen. Und schädigen dadurch ihre wertvollsten Leistungsressourcen, indem sie die Menschen verlieren.
Muss das sein?
Wie sich Führungskräfte sensibilisieren können
Führen im gewinnorientierten Geschäft und die Fähigkeit, dabei Empathie zu zeigen, erscheint in den Augen vieler als ein Widerspruch in sich. Dennoch: Es gibt gute Möglichkeiten, empathische Führung zu stärken. Mit kognitiver Empathie gelingt es Führungskräften, sich in die Situation von Mitarbeitenden hineinzudenken. Selbst dem noch höheren Anspruch, „Emotionale Empathie“ zu entwickeln, können sich Führungskräfte erfolgreich stellen, wenn sie sich auf die damit verbundene Reise einlassen.
Emotionale Empathie steht für das Mitfühlen für Menschen. Übungen wie z.B. „Die Fünf Rollen im Veränderungsprozess“ versetzen Führungskräfte und -teams in die Lage, sich gemeinsam für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu sensibilisieren.
Wie sieht eine Reise des „Einfühlens“ aus?
Die genannte Übung beleuchtet unterschiedliche Rollen, in denen sich Menschen als Mitwirkende und/ oder Betroffene im Veränderungsprozess wiederfinden können. Abbildung 1 skizziert die Rollen mit typischen Gefühlswelten, die Betroffene und Beteiligte während Veränderungsprozessen durchleben.
Abbildung 1: Die 5 Rollen im Veränderungsprozess
In dem Übungssetting teilt sich das Team in Sub Teams auf fünf Arbeitsstationen (z.B. fünf Flipcharts, pro Flipchart eine Rolle) auf. An den Arbeitsstationen sprechen die Teammitglieder über ihr persönliches Erleben, das sie in der von ihnen gewählten Rolle empfunden haben.
Der Erfahrungsaustausch findet entlang der drei in Abbildung 2 festgehaltenen Fragen statt. Er holt die Gefühle, die sie als Beteiligte in bestimmten Change Situationen erlebt haben, in das gemeinsame Sichtfeld.
Abbildung 2: Wie ich mich in der Rolle „X“ fühle. Und wie ich mich verhalte.
Erwartbare Antworten, etwa für das Erleben in der Rolle „Das Opfer“ sind z.B. …
…auf Frage (1) „Verunsicherung“, „Kompetenzgerangel“, „Perspektive ging verloren“, „Hilfe“ …
…auf Frage (2) „frustriert“ | „verärgert“ „ich habe es satt“ oder auch „mit mir nicht“.
Antworten auf Frage (3) bewegen sich bei der Adressierung der Opferrolle meist um die Werte „1 – 2 “.
Bei dem sich anschließenden Austausch im Gesamtteam sprechen die visualisierten Ergebnisse für sich: Je nach vorgestelltem Rollenerleben reichen die Erfahrungen von „innovativ, enthusiastisch, verantwortlich …“ und „sehr engagiert: 9 – 10 in der Rolle des (Mit-)Verantwortlichen bis zu dem deprimierenden Erleben in der oben vorgestellten Opferrolle. Das gesamte Erfahrungsspektrum wird nicht nur sichtbar, sondern deutlich spürbar wird. Die Teammitglieder fühlen mit.
Spüren – mitfühlen – aufrütteln
Der anschließende Teil 2 der Übung führt die Teammitglieder in ein Wechselbad der Empfindungen. Die Sub Teams wählen eine Rolle, die sich von der erstgewählten Rolle deutlich unterscheidet. Beispiel: Das Sub Team „Gestalter*in“ wechselt in die Opferrolle, das Sub Team (Mit-)Verantwortliche*r wechselt zur Konsumentenrolle, usw.
Das „Auf und Ab“ der Gefühle wirkt geradezu aufrüttelnd. Denn die Führungskräfte spüren ihrem Empfinden nach, das sie im Verlauf ihres Berufslebens – an unterschiedlichen Stellen in Veränderungen stehend – selbst erleben durften.
Das Ergebnis des Sensibilisierungsprozess liegt auf der Hand. Die Beteiligten finden bei künftigen Führungsentscheidungen völlig andere Lösungen, mit denen sie Veränderungsprozesse angehen.
Wie die Grundsensibilisierung gestärkt werden kann
Es liegt auf der Hand, dass eine einmalige Sensibilisierung nicht ausreicht, sondern aufgefrischt und für besonders herausfordernde Führungssituationen auch intensiviert werden muss. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn im Unternehmen Change Prozesse zum Alltag gehören oder wenn disruptive Veränderungen vom Unternehmen bewältigt werden müssen.
Unternehmen nutzen hierfür Formate, die Führungskräften nachhaltige Veränderungsimpulse in die eigenen Einstellungen und Sichtweisen vermitteln. Konzepte wie Search Inside Yourself oder Compassionate Leadership helfen als Wegweiser bei der Suche nach neuen Wegen in der Förderung von Führungskräften.
Intensive Auseinandersetzung mit anderen Erlebniswelten bieten auch Intensivprogramme wie zum Beispiel „SeitenWechsel“ (in Hamburg und anderen Städten in Deutschland). Eine Woche praktische Arbeit in der Bahnhofsmission, bei der Obdachlosenhilfe oder auch im Hospiz ermöglichen Managern Erfahrungstiefe und Erlebnisintensität, die ihnen kein Workshop und kein Coaching bieten kann.
Fazit
Der Schlüssel zum Erfolg bei der Führung liegt darin, den Blick von Zahlen, Daten und Fakten zu lösen, um ihn auf die Mitarbeitenden zu richten. Denn es sind die Menschen, welche die Leistung im Unternehmen bringen, nicht die Dinge. In Veränderungssituationen ist die Gefahr besonders groß, Menschen, sprich die Leistungstragenden, aus den Augen zu verlieren und irreparablen motivationalen Flurschaden anzurichten.
Der zahlenaffine Manager wird die Frage stellen „Lohnen Investitionen zur Stärkung emotionaler Empathie überhaupt?“ Wer die Frage so stellt, läuft Gefahr, die Abbiegung zu effektiver Führung schon bei den ersten Schritten zu verpassen. Gesunder Menschenverstand legt vielmehr nahe, die Frage anders zu stellen, z.B. so: „Glauben Sie im Ernst, mit unempathischen Blindflügen auch nur einen Mitarbeitenden zu mehr Leistung und/oder zu stärkerer Bindung an das Unternehmen zu bewegen?“
Wie feinfühlig sind Sie bei Veränderungsprozessen? Bei REFLECT stehen wir Ihnen zur Seite, um einen genauen Blick auf Ihre Situation zu werfen, möglichen Handlungsbedarf an den richtigen Stellen zu erkennen und differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse erarbeiten wir praktikable und umsetzbare Lösungsansätze. Wir unterstützen Sie auf diesem Weg!
Websites zum Stöbern:
Alida Schmidt-Stiftung: https://www.alida.de/menschen-mit-suchterkrankungen/hospitationen-/-seitenwechselr/seitenwechsel
Institute for Compassionate Leadership: https://www.instituteforcompassionateleadership.org/
Center for Creative Leadership: https://www.ccl.org/articles/leading-effectively-articles/empathy-in-the-workplace-a-tool-for-effective-leadership/
Deutsches Rotes Kreuz: https://www.drk-hospiz.hamburg/details/seitenwechsler-im-hospiz
Seitenwechsel Deutschland: https://seitenwechsel.com
Bildquellen:
Fewings, Nick, https://unsplash.com/de/fotos/weisser-pfeil-durch-rotes-herz-strassenschild-0Tgug57SJPU, Januar 2018