Bislang hat „die große Resignation“ vor allem in den USA zugeschlagen. Schwappt die Welle auch nach Europa – oder was bewegt Menschen dazu, gute Jobs zu verlassen?
In der zweiten Hälfte des letzten Jahres ist das Google-Suchvolumen nach „Kündigungen“ in den USA um 3.450 Prozent angestiegen (Google-Trends-Newsletter 2021). Seit Frühjahr 2021 meldete das U.S. Bureau of Labor Statistics stetig neue Höchststände an Kündigungen. Insgesamt haben über 47 Millionen Menschen in den USA im Jahr 2021 ihren Job gekündigt. Eine so massive Kündigungswelle gab es am US-amerikanischen Arbeitsmarkt bis dato noch nie.
Brandaktuelle Zahlen zeigen nun: In Deutschland ist die Wechselbereitschaft erstmals höher als in den USA (Gallup Engagement Index 2021). Fast ein Viertel (23 Prozent) möchte in einem Jahr nicht mehr beim aktuellen Unternehmen tätig sein. Auch die mittelfristige Wechselbereitschaft hat zugenommen: 42 Prozent planen, innerhalb der nächsten drei Jahre das Unternehmen zu wechseln. Rund jeder siebte Befragte (14 Prozent) gibt an, bereits aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle zu sein – der höchste Wert, der seit 2014 gemessen wurde.
Weitere Studien zeigen für die globale Perspektive: Im Jahr 2022 ziehen weltweit 41 Prozent der Beschäftigten eine Kündigung in Erwägung.
Was bewegt Menschen in der heutigen Zeit dazu, gute Jobs zu verlassen?
Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen, dass hierbei drei Faktoren entscheidend sind. An erster Stelle steht Burnout: Tatsächlich arbeiten Arbeitnehmer*innen zuhause meist länger als im Büro („Na komm, das mache ich jetzt noch schnell fertig“ oder „Ich kann mich ja nach dem Abendessen nochmal kurz dransetzen“). Die klare Trennung zwischen Arbeits- und Erholungszeit fällt durch verschwimmende Grenzen zunehmend schwerer. Aus unseren Gesprächen mit Arbeitnehmer*innen wissen wir außerdem: Viele fühlten sich – vor allem zu Beginn der Pandemie und Homeoffice-Phase – unter Druck, der Führungskraft beweisen zu müssen, dass man zuhause genauso konzentriert, produktiv und erreichbar ist wie im Büro, was automatisch auch zu längeren Arbeitszeiten führte. Eltern waren in der Pandemie durch das Jonglieren von Kindererziehung und Job besonders belastet.
Der zweite Faktor wird in der englischsprachigen Literatur als „mortality salience“ bezeichnet. Dahinter verbirgt sich die Angst vor Krankheit oder Tod. Die Pandemie und der damit einhergehende Schock hat bei vielen existenzielle Gedanken ausgelöst und zur Reflektion über das eigene Leben angeregt. Die zentrale Frage dabei lautet: „Lebe ich das Leben, das ich leben möchte?“. Seit der Pandemie gibt eine geringere Toleranz für Jobs, die dem Individuum keinen Sinn bringen. Die Zeit der Menschen ist begrenzt und wertvoll – und sie wollen sinnvolle Arbeit!
Der dritte Faktor ist ein vorher nicht bekanntes Freiheitsgefühl, dass Arbeitnehmer*innen während der Pandemie erstmals gespürt haben. Zu Beginn der Pandemie von heute auf morgen zuhause arbeiten zu müssen, war nicht für jeden leicht. Und es gibt sicherlich Dinge, die man im Vergleich zum Büro – auch langfristig – vermissen wird. Das Arbeiten zuhause bietet jedoch so viel mehr Autonomie. Und die möchte man nicht mehr hergeben. Ergo: Wenn unser Arbeitgeber uns die Autonomie nicht weiterhin ermöglicht gehen wir.
Sie alle kennen sicherlich den Spruch: „Mitarbeiter*innen kommen wegen des Jobs, bleiben wegen der Aufgabe und gehen wegen des Chefs“. Schauen wir uns die drei oben genannten Gründe an, so sind es andere Dinge, die Menschen aktuell zu Kündigungen bewegen. Das nimmt die Last etwas von den Schultern der Führungskräfte, bedeutet aber selbstverständlich nicht, dass Führungskräften keine Schlüsselrolle bei der Mitarbeiterbindung zukommt.
Das Gras auf der anderen Seite des Hügels ist immer grüner – oder doch nicht?
Nun ist die Kündigung ausgesprochen, jetzt wird alles besser? Eine aktuelle Studie zeigt, dass 7 von 10 Millennials und Arbeitnehmer*innen der Generation Z ihre Kündigung im Nachgang bereut haben. In einer groß angelegten Längsschnittstudie über mehrere Jahre hat sich außerdem gezeigt: Viele Arbeitnehmer*innen waren in ihrem neuen Job noch unzufriedener als vorher. Wann ist also der richtige Zeitpunkt, den aktuellen Arbeitgeber zu verlassen? Auch hier gibt es drei Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt.
Mitspracherecht: Kann ich selbst dazu beitragen, meine aktuelle Situation zu verbessern?
Loyalität: Wie wichtig sind mir der Sinn der Organisation und die Menschen? Stimmt der Zweck des Unternehmens mit meinen Grundwerten überein und gibt es Kolleg*innen, die ich ungerne zurücklassen möchte?
Alternativen: Habe ich überzeugende Alternativen? Fühle ich mich zu einer interessanteren Rolle, einer großartigen Mentorin oder einer besseren Lernkultur hingezogen? An dieser Stelle sei erwähnt, dass attraktive Alternativen heute viel leichter verfügbar sind als früher.
Aus diesen drei Aspekten lassen sich für Organisationen viele wertvolle Handlungsempfehlungen ableiten, wenn es darum geht, Mitarbeiter*innen im Unternehmen zu halten.
So vermeiden Sie die Kündigungswelle: Unsere Praxistipps
Wenn die Kündigungswelle bei Ihnen im Unternehmen noch nicht angekommen ist: Glück gehabt! Wenn Sie die Auswirkungen schon spüren, dann ist es jetzt höchste Zeit zu handeln: Was können Sie als Führungskraft oder Personaler*in tun, um Kündigungen zu vermeiden?
Führen Sie „Stay Interviews“.
Aktuelle Studien zeigen, dass es wichtig ist, mit Mitarbeiter*innen zu sprechen BEVOR Sie Anzeichen dafür bemerken, dass sie bereit sind zu kündigen. Klassischerweise führt man Austrittsinterviews – die zeigen Ihnen gegebenenfalls Verbesserungspotenziale auf, helfen Ihnen aber nicht dabei, Mitarbeiter*innen zu halten. Fragen Sie Ihre Arbeitnehmer*innen, warum diese sich jeden Tag wieder entscheiden, Teil Ihrer Arbeitsgemeinschaft zu bleiben. Und was Sie dafür tun können, um sie auch in Zukunft zu halten.
Fördern Sie Job Crafting.
Die Wahrheit ist: Den absoluten Traumjob gibt es nicht. Als Führungskraft können Sie aber viel dafür tun, dass Mitarbeiter*innen eigenständig ihre Arbeit gestalten und somit Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung steigern. Dieses Vorgehen bezeichnet man als Job Crafting: Mitarbeiter*innen gestalten ihren Job, um diesen als sinnvoller und damit befriedigender zu erleben.
Grundsätzlich gibt es drei Dimensionen des Job Craftings (siehe Tabelle). Wenn Sie möchten, dass Sie und Ihre Organisation vom Job Crafting profitieren, sollten Sie kommunizieren, dass Job Crafting gewünscht ist und die entsprechenden Handlungsspielräume zur Verfügung stellen.
Fördern Sie eine positive und offene Feedbackkultur. So vermeiden Sie, dass Arbeitnehmer*innen wegen 20 Prozent, die ihnen nicht gefallen, das Unternehmen verlassen. In offenen Gesprächen können die 20 Prozent besprochen und es kann gemeinsam nach Lösungen gesucht werden.
„Feiern“ Sie Kündigungen.
Sollte es dazu kommen, dass gute Mitarbeitende kündigen, gestalten Sie einen wertschätzenden und kollegialen Abschied. Warum nicht einen Monat später in Kontakt treten und fragen, wie es so geht – wir erinnern uns: Das Gras auf der anderen Seite des Hügels ist NICHT immer grüner! Wenn sich Mitarbeiter*innen während und nach der Kündigung wertschätzend und wohlwollend behandelt fühlen, erhöht das die Chance für eine Rückkehr enorm. Sie können sogar noch einen Schritt weiter gehen und Ihrem Leistungsträger oder Ihrer Leistungsträgerin eine einjährige Beurlaubung anbieten („Wir halten Ihnen die Tür offen, kommen Sie zurück, wenn Sie wieder bereit sind.“). Verändern Sie Ihre Sichtweise auf Kündigungen: Eine Kündigung hat nicht immer mit Ihnen als Organisation oder Führungskraft zu tun, sondern kann vielfältige Gründe haben.
Fazit
Es ist unbestreitbar, dass die Pandemie ein persönliches Umdenken bewirkt hat, dass sich auch auf die Arbeitswelt auswirkt! Aber es gibt Vieles, das Sie proaktiv tun können, damit „The Great Resignation“ Ihr Unternehmen nicht so hart trifft.
Der Trend kann außerdem auch Vorteile haben: Lassen Sie Mitarbeiter*innen, die nicht zu Ihrem Unternehmen passen, gehen und holen Sie dafür Kolleginnen und Kollegen ins Team, die besser zu Ihrer Kultur, Arbeitsweise und Ihren Werten (die sie fördern möchten) passen.
Quellen
Aßmann, E. (2018). Job Crafting – Wie Sie Ihren Mitarbeitern dabei helfen, ihre Arbeit zu lieben. In F. C. Brodbeck (Hrsg.), Evidenzbasierte Wirtschaftspsychologie, (27). Ludwig-Maximilians-Universität München. http://www.evidenzbasiertesmanagement.de.
Gallup Engagement Index 2021, Deutschland (05. April 2022)
Google-Trends-Newsletter 2021
https://www.fastcompany.com/90712286/is-the-great-resignation-bs-statistics-show-its-not-all-that
https://t3n.de/news/kuendigen-suchvolumen-steigt-1427350
https://t3n.de/news/kuendigungswelle-great-resignation-deutschland-usa-1464137
https://www.ted.com/podcasts/worklife/the-not-so-great-resignation-transcript